Bestattungskultur im Wandel

Von Dr. Carolina Villegas Millar Lesezeit 4 Minuten
Baum eines Friedwalds mit mehreren Namensplaketten

Traditionen, Konventionen, religiöse und familiäre Bindungen ändern sich, die Vielfalt der Lebensentwürfe nimmt zu. Das hat auch Auswirkungen auf Tod und Sterben. Im Bestattungswald, auf dem Friedhof, in Urne oder Eichensarg, mit individueller Trauerfeier oder ganz anonym: Die Bestattungskultur wird vielfältiger.

Mitten im Leben hat Karin über ihren Tod nachgedacht und ihre Beisetzung geregelt: »Mir ist das wichtig, ich habe ganz eigene Vorstellungen und will meine Familie nicht belasten, wenn es soweit ist.« Also hat die 54-Jährige vor drei Jahren mit einem Bestattungsunternehmen vertraglich vereinbart, dass sie im Urnenwald am Rande von Rostock beigesetzt wird. Ein traditionelles Friedhofsgrab kam für sie nicht infrage.

Wie Karin geht es vielen Deutschen. Einer Forsa Umfrage aus dem Jahr 2022 zufolge wollen nur noch 12% der Menschen klassisch im Sarg auf einem Friedhof begraben werden. 25% bevorzugen die Urnenbeisetzung in einem Bestattungswald, eine Beisetzung auf See wünschen sich 6%.

Neue Wege des Gedenkens

Während der Anteil der katholischen und evangelischen Bestattungen im Jahr 2000 hierzulande noch 71,5% betrug, ist die Zahl bis zum Jahr 2020 auf 49,7% zurückgegangen. Gleichzeitig steigt z.B. die Anzahl der muslimischen Bestattungen. Unabhängig von der Religionszugehörigkeit wächst bei vielen der Wunsch nach individuellen Bestattungslösungen und persönlichen Trauerfeiern: künstlerisch gestaltete Särge und Grabsteine, freie Trauerredner, Lieblingsmusik statt Kirchenliedern, Blog-Nachrufe statt Zeitungsanzeigen.

Viele Menschen sehen heute ihre letzte Ruhestätte nicht mehr im kirchlichen Umfeld und hinterfragen die früher selbstverständlichen religiösen und traditionsverwurzelten Formen der klassischen (Erd-)Bestattung. Auf vielen Friedhöfen verschwinden so die über Generationen gepflegten Familiengräber. Stattdessen gibt es mehr pflegeleichte Rasengräber, Urnen-Gemeinschaftsgräber, Urnen-Wände oder anonyme Gräber – womöglich auch, weil der Preis geringer ist, Kosten für die Grabpflege entfallen und Angehörige nicht an eine Grabstätte gebunden sind und sich regelmäßig kümmern müssen. So wandeln sich Friedhöfe immer mehr zu Parks und Gärten und bleiben trotzdem ›Orte der Erinnerung‹.

Friedhofspflicht

Auch wenn laut Forsa-Umfrage 74% den Zwang, auf einem Friedhof beerdigt zu werden, als veraltet ansehen, gilt in Deutschland – anders als z. B. in den Niederlanden – die Friedhofs- bzw. Bestattungspflicht. Demnach muss jede Bestattung (mit Ausnahme der Seebestattung von Urnen und der Begräbnisse im Urnenwald) auf einem kirchlichen oder öffentlichen Friedhof stattfinden. Dr. Dirk Pörschmann, Direktor des Museums und Zentralinstituts für Sepulkralkultur in Kassel, sieht das so: »Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das Grab kein privater Ort ist. Wenn es um die Privatisierung von Asche geht, habe ich ein schlechtes Gefühl, weil ich denke, eine Leiche gehört ja niemandem. Deswegen sollte sie auch an einem öffentlich zugänglichen Ort bestattet werden.« Gleichzeitig bringe das Gesetz ein generelles Problem mit sich. »Die Menschen müssen die Urne auf dem Friedhof beisetzen oder in einem Beisetzungswald oder in besonderen Bezirken auch in der Ost- oder Nordsee. Sie müssen das und gleichzeitig legen wir ihnen Kosten auf. Man könnte ja auch sagen: Wenn es schon ein Zwang ist, dann ist es zumindest kostenlos. Es gibt genügend Beispiele in anderen Ländern, wo das so gehandhabt wird. Da wird ein kostenfreier Standard definiert. Die Kremation und das Fleckchen Erde kosten zum Beispiel in Zürich nichts. Was man dann damit macht, wie man das ausgestaltet, das ist dann eine private Sache«, so Pörschmann.

Die Friedhofspflicht geht auf Karl den Großen zurück, der 785 festlegte, dass alle Leichen auf dem Kirchhof bestattet werden müssen. Die Kremation (Einäscherung) wurde damals als heidnischer Brauch gewertet und verboten. Erst im 14. Jahrhundert, mit Aufkommen der Pest, wurde der Bestattungsort neu definiert als ›Stätte außerhalb der Stadtmauern‹. Die Einäscherung rückte erst mit Aufschwung der NSDAP wieder ins Sichtfeld. Mit dem Feuerbestattungsgesetz von 1934 wurde die Kremation der Erdbestattung gleichgesetzt. Es enthielt Vorschriften, die bis heute gültig sind, wie z. B. die zweite ärztliche Leichenschau und das Verbot, den Leichenbrand, also die Asche von Toten nach einer Feuerbestattung, zu trennen.

Alternative Bestattungsorte

Die im Mittelalter ausgelagerten Friedhöfe wurden von den stetig wachsenden Städten längst wieder eingefangen. Und auch die Feuerbestattung hat sich etabliert; 2022 wurden etwa 78% der Verstorbenen in Deutschland eingeäschert. Doch wohin mit der Asche, wenn nicht auf den Friedhof? 2001 eröffnete in Kassel der erste Bestattungswald. Mittlerweile gibt es hierzulande rund 400 Urnenwälder und die Beliebtheit dieser Beisetzungsform hat die des Friedhofsgrabes längst überholt. Viele finden den Bezug zu Natur und Wald und die Vorstellung des natürlichen Kreislaufs reizvoll.

Auch Karin mochte den Gedanken, sich einen großen Baum für ihre ewige Ruhe auszusuchen. Ein Baum könne ebenso Anlaufpunkt zum Andenken sein, und ihre zwei erwachsenen Kinder müssten sich nicht um die Grabpflege kümmern. Eine kleine Tafel am Baum als Hinweis, wer hier liegt – das war’s. Der Urnenwald darf so wachsen und gedeihen, wie es die Natur vorsieht.

Für die einen eine idyllische Vorstellung, für die anderen Grund zu Kritik: Die Totenasche biete keinen guten Nährboden für die Bäume, könne vielmehr Schwermetalle mit sich bringen und den natürlichen PH-Wert des Bodens verändern, fürchten Kritiker.

Die Asche nicht im Urnenwald, sondern in freier Natur oder im Garten zu verstreuen, das ist seit 2015 offiziell in Bremen möglich, wo die Friedhofspflicht unter klar definierten Voraussetzungen aufgehoben wurde: Wenn die verstorbene Person in Bremen gemeldet war und zu Lebzeiten schriftlich verfügt hat, wo ihre Überreste bestattet werden sollen, darf die Asche mit Einverständnis des Grundstückeigentümers dort je nach Wunsch verstreut oder vergraben werden. In NRW darf der Leichenbrand ebenfalls an öffentlich zugänglichen Orten außerhalb des Friedhofs beigesetzt werden. Hierzu wird eine Genehmigung der örtlichen Friedhofsverwaltung benötigt. Auch andere Bundesländer bieten neue Urnenbestattungsoptionen, so hat im Mai in Lübeck ein Kolumbarium eröffnet. Das Gebäude, das ursprünglich als Kornspeicher diente, bietet Einzel, Doppel, Familien und Urnen-Gemeinschaftsgräber an. Zudem finden hier die Sternenkinder – Babys, die vor, während oder unmittelbar nach der Geburt verstorben sind – eine liebevoll künstlerisch gestaltete Gedenkstätte. Je nach Grabform liegen die Kosten zwischen 2800 und 15000 €.

Neben dieser Bestattungsform gibt es auch die Seebestattung in der Nord- oder Ostsee. Dabei wird die Totenasche in einer speziellen biologisch abbaubaren Urne ins Meer gesetzt. Diese Seeurne wird mit Kies, Sand oder Wasser beschwert, so dass sie direkt absinkt und sich am Meeresboden innerhalb von 48 Stunden auflöst.

Neue Bestattungsart

Als Pilotprojekt startete 2022 in Schleswig-Holstein das Angebot der Reerdigung. Hierbei wird die Leiche von Stroh und Heu umgeben, in einen Kokon aus recyclebarem Plastik gebettet. Durch die Mikroben im Körper und in dem Stroh-Heu-Gemisch wird der Leichnam binnen 40 Tagen zu Erde zersetzt. Unterstützt wird dieser Prozess durch ein Hin- und Herwiegen des Kokons. Temperatursensoren messen im Verlauf des Zersetzungsprozesses Werte von über 70 Grad Celsius, so dass die meisten Keime abgetötet werden. Nach 40 Tagen wird der Kokon geöffnet. Aus einer 80 Kilogramm schweren Leiche sind nun etwa 110 Kilogramm Erde geworden. Große, noch nicht vollständig zersetzte Knochen werden wie auch bei der Kremation gemahlen und schließlich der Erde zugefügt. Diese wird dann in ein Tuch eingeschlagen und kann auf bislang 25 Friedhöfen in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg beigesetzt werden.

Auch Karin hatte sich für eine Reerdigung interessiert, aber ihr war es wichtig, dass die Erde dann in einem Wald beigesetzt wird. Bisher ist dies jedoch nicht möglich.

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