Sie erklären Krankheiten, geben Tipps zu Therapien und werben für einen gesunden Lebensstil: Sogenannte medizinische Influencer, kurz ›Medfluencer‹, erreichen mit ihren Videos auf Social-Media-Plattformen oft zigtausende Follower.
»Wie du eine Sepsis erkennen kannst, was sie so gefährlich macht und was eigentlich eine Blutvergiftung wirklich bedeutet«, erklärt doc.caro.holzner, Notärztin, 381000 Follower bei Instagram. »Kann ich einen Kater verhindern?«, fragt dr.juliafischer, Ärztin, 90000 Follower bei Instagram. »Ich zeige dir 20 Tage lang, wie viel Medizin in deinem Essen steckt«, verspricht doc. felix, Arzt, 591000 Follower bei Instagram, 776000 Follower bei Tiktok. »Atherosklerose betrifft alle Gefäße im Körper. Meine 3 Tipps, um euch gegen diesen degenerativen Prozess zu wehren«, sagt der.hausarzt1, Hausarzt in Weiterbildung, 70000 Follower auf Instagram, knapp 280000 Follower auf Tiktok. Schwesterkim, Notfallkrankenpflegerin, knapp 560000 Follower auf Tiktok, gibt Tipps, wie man Halsschmerzen innerhalb von 24 Stunden wieder wegbekommt, nämlich: »Rennt zur Apotheke und holt euch dieses Medikament …«
Das Phänomen der Medfluencer hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Ob auf Facebook, Instagram, Youtube oder Tiktok – überall finden sich Menschen, die digitales Marketing und PR für und innerhalb des Gesundheitswesens betreiben, die Gesundheitstipps geben, Behandlungsmethoden vorstellen oder erklären, wie bestimmte Krankheiten entstehen. Die allermeisten, die das tun, haben einen medizinischen Hintergrund. Sie sind Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte oder Medizinstudierende. Aber auch von chronischen Erkrankungen Betroffene, die zwangsläufig zu Fachleuten auf diesem Gebiet geworden sind, nutzen gerne die sozialen Medien, um darüber aufzuklären.
Millionenfach angesehen
Mit den Internetplattformen erreichen die Medfluencer eine Zielgruppe, an die sie sonst nicht ohne weiteres rankommen: Menschen, die keine Gesundheitssendungen im Fernsehen anschauen und keine Gesundheitsmagazine durchblättern. Das sind nicht nur die jungen Generationen. Fachleute gehen davon aus, dass Tiktok-Nutzende bis etwa 30 Jahre alt sind, bei Instagram tummeln sich die 25- bis 50-Jährigen, auf Facebook finden sich eher die älteren Semester. Eine breite Palette also, die auch mit ganz unterschiedlichen Themen zwischen Medizin und Lifestyle angesprochen werden kann.
Das ruft Medfluencer auf den Plan, die weniger aufklären als vielmehr gut verdienen möchten.
Kennzeichen der sozialen Medien ist eine gefühlte Vertrauensbasis, die schnell zwischen den oft mehreren Zehntausend Followern und dem Medfluencer entsteht und zu dem Gedanken führt: Wenn die das empfiehlt, muss es gut sein. Der mutmaßliche Einfluss auf das Verhalten der Follower ist also groß, vor allem wenn man sich bewusst macht, dass die Videos mitunter millionenfach angesehen werden. Das ruft Medfluencer auf den Plan, die weniger aufklären als vielmehr gut verdienen möchten. Wer evidenzbasierte Informationen zu medizinischen und Lifestyle-Themen wie Ernährung, Bewegung und Entspannung sucht, sollte daher darauf achten, dass Medfluencer ihre Qualifikation klar offenlegen und nicht nur ein ›doc‹ im Namen führen. Zudem wichtig: Gibt es Verweise auf nachlesbare Studien und Quellen? Stehen seriöse Institute, Fachgesellschaften oder Leitlinien dahinter? Vorsicht ist geboten, wenn auf dem Medfluencerkanal immer wieder bestimmte Produkte beworben werden – dann steckt meist eine Kampagne dahinter.
Gefahren im Graubereich
Doch gerade Medizinerinnen und Mediziner bewegen sich hier in einem Graubereich. Es gilt das Fremdwerbeverbot, das heißt, sie dürfen sich nicht von kommerziellen Interessen, sondern ausschließlich vom Patientenwohl leiten lassen. Anders sieht das bei Medizinstudierenden und medizinischen Laien aus: Die dürfen sehr wohl werben, müssen dabei aber das Heilmittelwerbegesetz beachten. Wer sich nicht daran hält, läuft Gefahr, abgemahnt zu werden – sofern ihm jemand im Dickicht der sozialen Medien auf die Schliche kommt.
Gleiches gilt, wenn Qualifikationen vorgetäuscht werden. Marius Hossbach, Fachanwalt für Medizinrecht, beschreibt seine Erfahrungen auf der Internetseite der Hamburger Kanzlei Rose & Partner: »So wird der Begriff ›MedizinerIn‹ mit einem abgeschlossenen Studium assoziiert, aber teilweise von Studierenden benutzt. Wer sich ›Doc‹ nennt, muss keinen Doktortitel haben, und einer, der im Namen eine Facharztbezeichnung führt, ist tatsächlich nur Weiterbildungsassistent. Manchmal steht im Impressum sogar eine kommerzielle Agentur.«
Mit starkem Sendungsbewusstsein unterwegs
Gerade junge Medfluencer, die noch Medizin studieren oder ihr Studium gerade abgeschlossen haben, gehen oft hoch motiviert und mit starkem Sendungsbewusstsein online. So ist beispielsweise das Motto von Felix M. Berndt, der als doc.felix bei Instagram und Tiktok unterwegs ist: »Ich zeige Dir, wie geil ein gesundes Leben ist!« Dass ihm trotz sechs Jahren Studium noch einige Erfahrungen fehlen, ist doc.felix bewusst. Er spricht das gegenüber seinen Followern offen an und erzählt, dass er seine Videos auf medizinische Korrektheit prüfen lässt, bevor sie veröffentlicht werden. Dennoch ist das, was Berndt in den sozialen Medien präsentiert, weit mehr als medizinische Aufklärung. Und so findet sich auf seinem Instagramaccount auch mal ein Video, das die Vorteile der feuchten Wundheilung erklärt – versehen mit dem Hashtag #hansaplast.
Die Idee der Aufklärung treibt auch die Abteilung Unternehmenskommunikation des Universitätsklinikums Freiburg an. »In den sozialen Medien sind wahnsinnig viele Falschinformationen unterwegs«, sagt Leiter Benjamin Waschow, »da können wir uns natürlich zurücknehmen und sagen: nicht unser Ding. Wir haben uns jedoch dafür entschieden, ein seriöses Gegengewicht anzubieten und so bestenfalls Fake News aufzudecken.« Wie hilft man jemandem, der an einem Fremdkörper zu ersticken droht? Was genau ist ein Augensonnenbrand? Schlafen wir besser, wenn wir uns nachts den Mund zukleben? Mit solchen Themen, aber auch Veranstaltungstipps und Klinik-PR bespielen drei Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation regelmäßig die Uniklinik-Kanäle auf Facebook, Tiktok, Instagram und LinkedIn. Dort, wo früher eine Pressemeldung rausgegeben wurde, die für alle gedacht war, macht man sich heute sehr genaue Gedanken über die Zielgruppe. »Die Nutzer erwarten heutzutage, dass man zu ihnen kommt, also gehen wir auf die jeweilige Plattform und sprechen sie in den dort üblichen Formaten an«, sagt Waschow.
Ein Avatar hilft
Soziale Medien heißt: Es gibt immer unmittelbar ein Feedback auf alles, was man auf diesen Kanälen postet und kommentiert. Nutzerinnen und Nutzer bewerten jede Information und jedes Video, sie diskutieren in Chats und sind harte Kritiker. »Das ist hochspannend, aber auch anstrengend«, sagt Waschow. Das Gute daran: Die universitären Medfluencer sehen – wie alle anderen auch – sofort, ob etwas funktioniert oder nicht. Das im Blick zu behalten, ist in den sozialen Medien quasi überlebenswichtig. Denn wenn ein Format heute viel Zuspruch findet, heißt das nicht, dass es das auch noch in drei Wochen tut. »Man braucht daher kein Konzept schreiben, das kommt über die Betaversion nie hinaus«, sagt Waschow, »viel wichtiger ist es, aktiv dranzubleiben, auch zu schauen, was andere machen, was gut ankommt, und schnell zu reagieren.« Alles, was die Uniklinik Freiburg zu medizinischen Themen veröffentlicht, ist von Expertinnen und Experten geprüft.
Da gibt es einige, die das richtig gut machen: Mit Witz, schneller Sprache, direktem Ansprechen der Zielgruppe – und sie haben auch Spaß dabei, medizinische Fakten mal so aufzubereiten
Auch die Aussagen, die seit Ende vergangenen Jahres der Avatar Kim trifft, der überraschend gut bei den Followern ankommt. »Das ist wie ein Mitarbeiter, der nie krank ist und immer gute Laune hat«, sagt Waschow. Der Avatar sei jedoch nur eine Ergänzung, die auflockern soll. Vor allem bei komplexeren Themen greifen die Kolleginnen und Kollegen der Unternehmenskommunikation auf die Expertise der hauseigenen Fachleute zurück. »Da gibt es einige, die das richtig gut machen: Mit Witz, schneller Sprache, direktem Ansprechen der Zielgruppe – und sie haben auch Spaß dabei, medizinische Fakten mal so aufzubereiten«, sagt Waschow. Perfekte Medfluencer also.