Für sehr viele Menschen gehört Digitalität inzwischen zum Alltag und hat einen wesentlichen Anteil an Kommunikation, Arbeit, Freizeit und Versorgung. Doch für Menschen, die in Armut leben, ist der Zugang zur digitalen Welt oft verstellt.
Wer vor zwanzig Jahren eine Wohnung suchte, kaufte sich Tageszeitungen aus Papier und kreiste ausgewählte Angebote mit einem Kugelschreiber ein. Heute unterstützen digitale Anwendungen scheinbar selbstverständlich nicht nur bei der Wohnungssuche, sondern überall im Alltag: einkaufen mit der Rabatt-App, arbeiten mit der Office-Software, soziale Kontakte pflegen per Chat, Jobsuche auf Online-Portalen.
Digital – normal?
Doch diese digitale Normalität steht nicht allen Menschen offen: Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht jährlich seinen Armutsbericht und macht darin auf gegenwärtige Schwerpunkte von Armut in Deutschland aufmerksam. So wurde im Armutsbericht 2021 deutlich, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie Menschen, die zu den Einkommensarmen gerechnet werden, besonders trafen. Während beispielsweise ein großer Teil der Bevölkerung vom Digitalschub durch die Pandemie profitierte, brachen für viele Menschen, die staatliche Leistungen beziehen oder darauf angewiesen wären, ganze Versorgungsstrukturen zusammen, darunter auch der Anschluss an die digitale Welt.
„Personen, die keinen eigenen Computer oder kein Smartphone haben, sind auf öffentliche Treffpunkte mit PC-Plätzen, wie beispielsweise Arbeitslosenzentren oder Bibliotheken, angewiesen, um bestimmte Informationen zu bekommen oder E-Mails zu schreiben. Doch diese Einrichtungen mussten alle aufgrund der Kontaktbeschränkungen schließen,“ erklärt Gwendolyn Stilling, Pressesprecherin des Paritätischen Gesamtverbands und Leiterin des Projekts Digitale Kommunikation und Teilhabe.
Auch Schulen mussten während der Pandemie schließen und nicht jedes Kind konnte ohne Weiteres am Online-Unterricht teilnehmen: Insgesamt gelten fast 3 Millionen Kinder in Deutschland als arm. In einkommensschwachen Haushalten stehen im Schnitt deutlich weniger oder gar keine internetfähigen Endgeräte zur Verfügung. Vielen Kindern bleibt unter solchen Vorzeichen weit mehr als nur die zukünftig dringend notwendige digitale Kompetenz versagt. 2021, im zweiten Pandemie-Jahr immerhin, entschied das Thüringer Landgericht, dass die Finanzierung von Hardware für den Online-Unterricht als „unabweisbarer Mehrbedarf“ vom Jobcenter zu tragen sei.
Arm und offline
Anders als die Pandemie konnte die fehlende digitale Teilhabe bisher nicht überwunden werden. 2023 hat der Paritätische Gesamtverband Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ausgewertet. Demnach verfügen von 14,1 Millionen Menschen, die 2021 zu den Einkommensarmen in Deutschland gehörten, etwa 3 Millionen Menschen zuhause über keinen Internetanschluss. Zwar gibt es auch Menschen, deren Einkommen oberhalb der Armutsschwelle liegt und die kein Internet nutzen. Doch armutsbetroffene Menschen begründen den fehlenden Internetanschluss deutlich häufiger mit hohen Kosten. Zuverlässige sichere Geräte, laufende Flatrate-Verträge und unvorhergesehene Reparaturen bedeuten große finanzielle Belastungen für Menschen, die für den täglichen Bedarf jeden Cent umdrehen müssen. So erklärt Yaska K., die selbst von Armut betroffen ist: „Wenn mein Rechner kaputt geht, bin ich komplett außen vor. Ich kann ihn nicht ersetzen.“ Und selbst wenn ein Smartphone zur Verfügung steht, „stellt die Begrenzung des Datenvolumens die Teilhabegrenze dar,“ ergänzt Valentina Kerst, Digitale Strategie-Beraterin für Organisationen und Unternehmen.
Kerst und Fedor Ruhose, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Rheinland-Pfalz, zeigen in ihrem Buch Schleichender Blackout die Voraussetzungen für eine gelungene Digitalisierung in Deutschland auf und fordern: „Wir müssen also dafür sorgen, dass das Digitalisierungsversprechen für alle in unserer Gesellschaft eingelöst wird. Dafür muss der Staat digitale Daseinsvorsorge gewährleisten.“
Vom Existenzminimum zum Empowerment
Zahlreiche Sozialverbände kritisieren, dass die digitale Teilhabe in der Grundsicherung nicht ausreichend berücksichtigt ist. So fordern unter anderem die Diakonie Deutschland, der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt und das Armutsnetzwerk e.V. ein „Digitales Existenzminimum:“ Neben einem realistischen Regelbedarf gehören dazu die Ausstattung mit Endgeräten, mehr öffentlich zugängliches und kostenfreies Internet sowie die Investition in digitale Kompetenzen. Auch die Digitalisierung der Behörden, die derzeit auf der Grundlage des Onlinezugangsgesetzes (OZG) vorangebracht wird, sollte nutzerfreundlicher gestaltet werden.
Gwendolyn Stilling vom Paritätischen Gesamtverband ergänzt: „Statt Massenverwaltungstauglichkeit muss ein konsequentes Zielgruppendenken umgesetzt werden: Menüführung, Support, nicht-elektronische Verwaltung. Idealerweise würden ja auch Zeit- und Personalressourcen durch die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen freigesetzt werden. Diese Zeit könnte sinnvoll in die persönliche Beratung investiert werden.“
Der digitale Raum eröffnet enormes Potenzial für eine niedrigschwellige und gleichwürdige Kommunikation – unabhängig davon, was ich mitbringe, welchen Status ich habe.
Laut den Sozialverbänden ermöglicht eine gelungene Digitalisierung von Armut betroffenen Menschen zudem, sich zu vernetzen und sichtbar zu werden. „Der digitale Raum,“ so Stilling, „eröffnet enormes Potenzial für eine niedrigschwellige und gleichwürdige Kommunikation – unabhängig davon, was ich mitbringe, welchen Status ich habe. Das ist eine zentrale Voraussetzung, um sich politisch, kulturell, gesellschaftlich einzubringen, teilnehmen zu können und sein Umfeld mitgestalten zu können.“
Digitale Gesundheitskompetenz
Die Expertise des Paritätischen Gesamtverbands kommt auch zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Menschen in Deutschland befürchtet, mit neuen digitalen Entwicklungen nicht Schritt halten zu können. Diese Sorge ist insbesondere für Menschen mit Armutserfahrung angesichts fehlender Geräte und Kompetenzen nicht von der Hand zu weisen. Schließlich sind davon nahezu alle Lebensbereiche betroffen, so auch die Gesundheit.
Von der elektronischen Patientenakte über digitale Gesundheits- und Pflegeanwendungen bis hin zur umfassenden elektronischen Verarbeitung von Gesundheitsdaten – die sinnvolle Nutzung dieser Neuerungen erfordert nicht nur leistungsfähige Endgeräte und gut durchdachte Software. Überdies müssen alle Betroffenen von der Entwicklung bis zur Anwendung involviert und umfassend informiert sein. Nur so können Anwendungen nutzerfreundlich gestaltet und Grundlagen für souveräne Entscheidungen geschaffen werden, also: Wie nutze ich was? Welche Daten möchte ich dazu preisgeben? Und welche Dinge möchte ich nicht digital, sondern persönlich regeln?
Die Digitalstrategie der Bundesregierung formuliert das Ziel, „die Digitalisierung so zu gestalten, dass alle Menschen von ihr profitieren können – unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung, sozialer Lage und ethnischer Herkunft.“ Doch gegenwärtig leben fast Dreiviertel der Menschen in Deutschland, die keinen Internetanschluss haben, in Armut und ihnen droht bislang mit zunehmender Digitalisierung aller Verwaltungsabläufe eine massive Benachteiligung. Nicht nur für sie muss daher die Wahlfreiheit bestehen bleiben, das Leben auch weiterhin analog regeln zu können.
Altgeräte (PCs, Laptops, Tablets, Handys) können gespendet werden, z. B. an Computertruhe e. V. (8 Standorte in Deutschland und Hinweise zu weiteren lokalen Projekten) https://computertruhe.de