Wege aus der Einsamkeit

Von Stefanie Roloff Lesezeit 4 Minuten
Symbolbild: Mehrere Vögel sitzen paarweise oder einzeln auf Stromleitungen.

In Deutschland fühlen sich Millionen Menschen einsam – quer durch alle Altersgruppen. Das hat negative Auswirkungen, sowohl auf die Einzelnen als auch auf die Gesellschaft. Doch es gibt Wege, dem entgegenzuwirken.

Im Jahr 2021 waren rund 11,3 % der Bevölkerung von Einsamkeit belastet, stellt das Einsamkeitsbarometer 2024 fest. Der Bericht wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie vom – durch das Ministerium gegründeten – Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) erarbeitet. Er erfasst erstmals die Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland. Positiv geht daraus hervor, dass die Einsamkeitsbelastung nach einem Rekordhoch von 28,2 % im ersten Pandemiejahr gesunken ist. Trotzdem liegt sie weiterhin deutlich über der Vor-Corona- Zeit. Zum Vergleich: 2017 waren 7,6 % betroffen.

Das KNE unterscheidet zwischen ›sozialer Isolation‹, die objektiv messbar ist, und ›Einsamkeit‹, einer subjektiven Empfindung, die mit sozialer Isolation verbunden sein kann. Das ›Alleinsein‹ wiederum muss nicht zwangsläufig zu einem Gefühl der Einsamkeit führen.

Wenn jemand einsam ist, stimmen die eigenen sozialen Beziehungen nicht mit den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen überein.

Dabei ist laut der auf der Webseite des KNE zitierten Einsamkeitsforscherin Prof. Dr. Maike Luhmann die Qualität der sozialen Beziehungen bedeutsamer als die Quantität. Problematisch werde es dem KNE zufolge, »wenn das Gefühl der Einsamkeit sich verstetigt und mit einem dauerhaften Leidensdruck einhergeht.« Denn diese chronische Form der Einsamkeit kann zahlreiche körperliche und psychische Beschwerden auslösen.

Vielfältige gesundheitliche Auswirkungen

Das Einsamkeitsbarometer 2024 benennt unter anderem depressive Störungen, suizidales Verhalten, Schlafprobleme, eine höhere Mortalität sowie Herz-Kreislauf- Erkrankungen als mögliche gesundheitliche Folgen einer erhöhten Einsamkeitsbelastung. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor den gesundheitlichen Risiken von Einsamkeit und sozialer Isolation. Diese gingen etwa mit einer 25 % höheren Wahrscheinlichkeit für einen früheren Tod einher sowie mit einem 50 % höheren Risiko für die Entwicklung einer Demenzerkrankung.

Die Zahlen des Einsamkeitsbarometers verdeutlichen den problematischen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen: So hatten 60,7 % der Personen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung in Deutschland im Jahr 2021 eine unterdurchschnittliche körperliche Gesundheit und 71,7 % eine unterdurchschnittliche psychische Gesundheit. Das KNE geht dabei von einer Wechselwirkung aus: »Einsamkeit macht krank, aber Krankheit macht auch einsam.«

Risikofaktoren für Einsamkeit

Auch wenn sich Einsamkeit in allen Altersgruppen zeigt, gibt es Unterschiede in den Bevölkerungsgruppen. Ältere Menschen ab 75 Jahren sind im Längsschnitt am stärksten von Einsamkeit betroffen. Das tritt vor allem bei Menschen in Alten- und Pflegeheimen auf, insbesondere wenn sie keinen Partner oder keine Partnerin (mehr) haben. Nur während der Corona- Zeit hatte sich dieser Effekt umgekehrt: Während im ersten Pandemiejahr (2020) 31,8 % der 18- bis 29-Jährigen Einsamkeit empfanden, waren es bei den über 75-Jährigen 22,8 %. Neben älteren Personen sind zudem Frauen generell etwas häufiger von Einsamkeit betroffen als Männer, unter anderem, weil sie mehr intensive Care-Arbeit leisten, sich um Kinder oder Angehörige kümmern oder in der Pflege arbeiten.

Frauen sind generell etwas häufiger von Einsamkeit betroffen als Männer, unter anderem, weil sie mehr intensive Care-Arbeit leisten.

Care-Arbeit vergrößert die Wahrscheinlichkeit von übermäßiger Einsamkeit. Seit 2013 liegt beispielsweise der Anteil der Alleinerziehenden, die sich einsam fühlen, konstant zwischen 5,5 (2013) und 4,4 Prozentpunkte (2021) höher als bei Paar- oder Mehrgenerationenfamilien. Auch pflegende Angehörige sind stark belastet. Jedoch benennt das Einsamkeitsbarometer hier keine konkreten Zahlen, auch weil deren Fallzahlen bei den vorliegenden Daten zu gering sind.

Auch wer von Armut betroffen ist, leidet oft unter erhöhter Einsamkeit. So empfanden (im Jahr 2021) 26 % der arbeitslosen Personen ab 18 Jahren Einsamkeitsbelastungen, jedoch nur 9,9 % der Erwerbstätigen. Darüber hinaus fühlten sich 16,3 % der Menschen mit Migrationserfahrung einsam.

Die Psychologin Marina Menges sieht auch allgemeine gesellschaftliche Faktoren als Ursachen für zunehmende Einsamkeit: »Werte verschieben sich, die Leistungsgesellschaft übt einen hohen Druck aus und die Digitalisierung schreitet voran«, sagt die systemische Familientherapeutin und Supervisorin, die dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen angehört. So habe zum Beispiel der Stellenwert von Ehe und Familie abgenommen. Auch seien Kinder und Jugendliche oft sich selbst überlassen, was den ungefilterten und unkontrollierten Konsum von Medien fördere. Die Message in Online-Netzwerken sei häufig: »Sei besonders, sei der Beste oder die Schönste, was eher zu mehr Selbstbezogenheit und Einsamkeit führt als zu dem Gefühl von Verbundenheit und Nähe.«

Zur Einsamkeitsprävention empfiehlt die Psychologin gute Beziehungen aufzubauen, Achtsamkeit zu üben und öfter in die Natur zu gehen. Darüber hinaus sei die gesellschaftliche Beteiligung wichtig, beispielsweise sich ehrenamtlich zu engagieren oder in einem Verein mitzuwirken. Das deckt sich mit den Erkenntnissen des Einsamkeitsbarometers. Dieses definiert gesellschaftliche Teilhabe, starke soziale Bindungen und eine gute Infrastruktur vor Ort, wie soziale Räume und Begegnungsstätten, als zentrale Resilienzfaktoren gegen Einsamkeit. #

Gemeinsam gegen Einsamkeit

Die Einsamkeitsbelastungen quer durch die Bevölkerung, die gesundheitlichen Folgen sowie die damit verbundenen Kosten für die Sozialversicherung haben auch die Politik auf den Plan gerufen.

So wurde im Dezember 2023 die ›Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit‹ beschlossen. »Unser Ziel ist es, das Thema Einsamkeit in Deutschland stärker politisch und wissenschaftlich zu beleuchten «, sagt Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. »So brechen wir das Tabu und setzen ein Signal: Einsame Menschen sind nicht alleine.« ›Richtig gut geht’s uns nur gemeinsam‹ lautet daher das Motto der Strategie gegen Einsamkeit.

Axel Weber, wissenschaftlicher Mitarbeiter des KNE, bestätigt, dass Einsamkeit »einen negativen Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Teilhabe und den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat«. Das könne Betroffene davon abhalten, politisch zu partizipieren und ihr Vertrauen in die Demokratie schwächen.

Die Geschäftsstelle zur Strategie gegen Einsamkeit am KNE hat das Bundesfamilienministerium bei der Entwicklung der Maßnahmen gegen Einsamkeit unterstützt und hilft bei der Umsetzung. Fünf Ziele stehen auf dem Programm: ›Sensibilisierung der Öffentlichkeit‹, ›Wissen stärken‹, ›Praxis stärken‹, ›Bereichsübergreifend agieren‹ und ›Menschen unterstützen‹, so Weber. Damit sensibilisiert die Initiative der Bundesregierung die Bevölkerung nicht nur mit Kampagnen wie der jährlich stattfindenden Aktionswoche ›Gemeinsam aus der Einsamkeit‹. Vielmehr fördert sie auch Forschungsprojekte und praktische Maßnahmen, um Einsamkeit vorzubeugen und sie zu lindern. Angestrebt wird zum Beispiel eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.

Regionales Engagement wächst

Auch die Bundesländer selbst engagieren sich zunehmend für das Thema: So hat beispielsweise die nordrhein-westfälische Landesregierung am 10. Dezember 2024 den ersten Aktionsplan gegen Einsamkeit verabschiedet. Unter dem Titel „Du+Wir=Eins – Nordrhein-Westfalen gegen Einsamkeit“ bündelt der Aktionsplan Maßnahmen gegen Einsamkeit aller Ministerien der Landesregierung.

Eine ›Angebotslandkarte‹ des KNE informiert über weitere regionale Gesprächs- und Gemeinschaftsprojekte. Diese reichen von Hilfs- und Beratungsangeboten bis hin zu sozialen Initiativen, Selbsthilfegruppen und niedrigschwelligen Angeboten, wie den sogenannten ›Ratschbänken‹ in Bayern, die zum Austausch einladen.

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