Wem rutscht nicht mal ein lautes Scheiße heraus, wenn der Zeh gegen die Bettkante haut? Wissenschaftler haben Sinn und Wirkung der unflätigen Lautäußerungen untersucht. Tatsächlich entlasten sie nicht nur die Seele – sondern helfen auch dem Körper.
Geburtsvorbereitungskurs, Berlin-Kreuzberg, sechs werdende Elternpaare, sechs Plastikeimer. Die Hebamme, nennen wir sie Emma, eine Frau mit der Aura einer Küchenchefin aus der Oberpfalz, kippt in jeden Eimer Eiswürfel und Wasser. Thema heute: Wehenschmerz. Die Schwangeren sollen zuerst zwei Minuten lang ihre Hand ins eiskalte Wasser tauchen. Danach wir Männer. Die Übung, sagt Emma, sei »sehr aufschlussreich«. Dann wendet sie sich an uns Väter. »Das ist jetzt die ›Ja-Schatz-Phase‹. Egal, was Ihre Frau sagt – ja, Schatz.« Kein Widerspruch, kein Nachfragen – nur nicken, streicheln, schweigen.
Meine Freundin taucht ihre Hand ein und ruft sofort: »Fuck!« Ich: »Ja, Schatz.« »Das ist arschkalt! « »Ja, Schatz.«
»Arschkalt«, »scheißweh«, »brüllendheiß« – Sprache kennt keine Zensur, wenn’s weh tut. Wer sich jemals den kleinen Zeh an der Bettkante demoliert hat, kennt das Phänomen: Schmerz bringt das Schimpfen zum Blühen und das wirkt befreiend.
Fluchen entlastet Psyche und Körper
Fluchen ist eine exklusive Eigenschaft des Menschen – trotz des sprichwörtlich schimpfenden Rohrspatzes. Jede und jeder tut es, im Auto, auf dem Fahrrad, im Fußballstadion, vor dem Fernseher – weil es »kathartische Funktion« besitze, sagt der Fluchforscher André Meinunger vom Leibniz Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin. »Es ist ein Druckventil für unsere Psyche.« Wir Deutsche hätten einen Hang zum anal-fäkalen Fluchen, während Engländer, Amerikaner, Italiener und Spanier eher sexualisierte Flüche verwendeten.
Aber Fluchen erleichtert nicht nur die Seele, es lindert sogar körperlichen Schmerz.
Der britische Psychologe Richard Stephens beobachtete das bei der Geburt seiner Tochter. Seine Frau fluchte wie ein Seemann mit Nierenkolik. Stephens reagierte angeblich professionell – aber ob er »Ja, Schatz« sagte, ist nicht überliefert. Was wir wissen: Er war fasziniert. Und startete ein Experiment: Zwei Gruppen, zwei Eimer Eiswasser. Die einen durften fluchen, die anderen mussten einen Tisch beschreiben. Ergebnis: Die Flucher hielten länger durch – im Schnitt 40 Sekunden. Sie empfanden auch weniger Schmerz. Und: Frauen profitierten noch mehr vom Fluchen als Männer. Stephens schloss daraus: Fluchen aktiviert uralte Stressreaktionen – Herzschlag rauf, Endorphine raus – und genau die helfen, den Schmerz zu bewältigen. Eine Art biologisches Schmerzmittel, serviert mit Kraftausdruck.
Wer »Scheiße!« ruft, ist stärker und ausdauernder
Aber damit nicht genug. Fluchen macht angeblich sogar stärker. In einem weiteren Versuch ließ der Psychologe Testpersonen beim Radfahren fluchen – und siehe da: mehr Kraft, mehr Ausdauer. Und noch ein Versuch, bei dem die Probanden ein Testgerät mit den Händen kräftig zudrücken mussten, zeigte: Wer »Scheiße!« ruft, drückt kräftiger zu.
Zurück nach Kreuzberg. Jetzt bin ich dran mit Entbinden. Ich tauche die Hand ins Eiswasser. Joa. Kalt. Aber ich zeige: nichts. Meine Freundin schaut mich prüfend an. Sie wartet auf einen Fluch, ein Wimmern, wenigstens ein Zucken, irgendwas, um mir dann süffisant das »Ja, Schatz« zu geben. Aber nein, ich bleibe still. Eigentlich bin ich ja eher das Modell ›Schmerzmemme‹, aber diesmal halte ich durch. Zwei Minuten später ziehe ich die Hand raus, alle schauen anerkennend, sogar Emma lächelt. Ich will sagen: »Seht ihr, ist doch pippileicht!« Da fällt mir das Ibuprofen ein. 800 Milligramm. Wegen meiner verfluchten Kopfschmerzen.