Gewalt in der Pflege ist ein soziales Problem, mit dem wir uns kontinuierlich auseinandersetzen müssen. Mittlerweile findet genau das zunehmend statt: Zahlreiche Projekte und Initiativen haben sich ganz konkret der Prävention von Gewalt in der Pflege verschrieben.
Damit diese funktionieren, ist es wichtig, dass alle, die professionell mit pflegebedürftigen Menschen und ihren Pflegepersonen in Kontakt kommen, sei es als Einzelperson oder als Organisation, Verantwortung für das Thema Gewaltschutz übernehmen und zusammenarbeiten.
Überlastung, unausgeglichene Machtverhältnisse, aber auch strukturelle und gesellschaftliche Bedingungen können Gewaltsituationen begünstigen.
Jemanden zu pflegen, ist anspruchsvoll und körperlich wie seelisch sehr belastend, was gerade pflegende An- und Zugehörige schnell überfordern kann. Überlastung, unausgeglichene Machtverhältnisse, aber auch strukturelle und gesellschaftliche Bedingungen können Gewaltsituationen begünstigen. Man denke nur in Zeiten des Fachkräftemangels an die teils schwierigen institutionellen Bedingungen von Pflege in Pflegeeinrichtungen. Negative Altersbilder können das Selbstvertrauen von älteren und pflegebedürftigen Menschen beeinträchtigen, sich in bestimmten Situationen zu behaupten oder Hilfe einzufordern.
An einem Strang ziehen
Wichtig ist es, ein Verständnis für die Komplexität der Ursachen für Gewaltentstehung zu entwickeln und sich immer wieder bewusst zu machen, wie vulnerabel Pflegebeziehungen sind. Deshalb funktioniert Gewaltschutz auch nur dann, wenn bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen alle Beteiligten an einem Strang ziehen und eine gemeinsame Haltung dazu etabliert wird: So kann eine Pflegekraft in einem Pflegeheim nur wenig gegen die Anwendung von aus ihrer Sicht unangemessenen freiheitsentziehenden Maßnahmen tun, wenn sie nicht vom Management unterstützt wird. Das neu eingeführte Gewaltschutzkonzept in einem ambulanten Pflegedienst kann erst wirksam werden, wenn auch die Mitarbeitenden davon überzeugt sind. Die Gutachterin des Medizinischen Dienstes wird einem unguten Gefühl nach einer Pflegebegutachtung nur dann nachgehen, wenn sie weiß, an welche Kollegen und Vorgesetzten sie sich wenden kann und dass sie ernst genommen wird.
In Deutschland fehlen für Gewaltsituationen gegenüber älteren und pflegebedürftigen Menschen verbindliche Zuständigkeitsregelungen.
Insgesamt fehlen in Deutschland für Gewaltsituationen gegenüber älteren und pflegebedürftigen Menschen verbindliche Zuständigkeitsregelungen wie sie z. B. im Kinder- und Jugendhilfesektor bestehen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass alle Institutionen, die mit pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen zu tun haben (z. B. Heimaufsicht, Beratungsstellen, Pflegeeinrichtungen, Medizinischer Dienst) regelmäßig an einen Tisch kommen, Zuständigkeiten und Handlungsabläufe bei Verdacht auf Gewalt harmonisieren, sich abstimmen und gegenseitig informieren, wenn Maßnahmen zur Prävention von Gewalt implementiert werden: Das waren u. a. Ergebnisse des vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Projektes ›Gewaltfreie Pflege‹, das der MDS (Vorgängerorganisation des Medizinischen Dienstes Bund) zwischen 2013 und 2015 umgesetzt hatte. Die Ergebnisse aus dem Projekt sind nach wie vor gültig und mittlerweile werden vielerorts auf kommunaler Ebene an Runden Tischen, in Pflegekonferenzen und -netzwerken Aktivitäten und Maßnahmen speziell zur Prävention von Gewalt in der Langzeitpflege geplant und umgesetzt.
Zu solchen Maßnahmen zählen z. B. regelmäßige Fachtage, um eine breite Öffentlichkeit für das Thema Gewalt und Gewaltprävention in der Pflege zu sensibilisieren.
Kultur des Hinschauens
Vielfach haben sich kommunale Netzwerke zum Thema Gewaltschutz in der Pflege auch im Zuge der Novellierung ordnungsrechtlicher Bestimmungen in den Bundesländern etabliert, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen.
Um eine Kultur des Hinschauens zu schaffen, in der das Wohl und die Würde pflegebedürftiger Menschen und die ihrer Pflegepersonen im Mittelpunkt stehen, ist es insgesamt notwendig, dass die Organisationen im Gesundheitswesen das Thema Prävention von Gewalt in der Pflege als eine gemeinsame Aufgabe verstehen und zusammenarbeiten.