Immer mehr junge Menschen konsumieren Lachgas und gefährden damit ihre Gesundheit. Ein Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der Kinder und Jugendliche besser vor den erheblichen Gesundheitsgefahren schützen soll, wurde im November 2024 vom Bundeskabinett bewilligt.
»Das klingelt im Kopf und flutet wie eine Welle durch den Körper«, schildert Jo seine Erfahrung mit Lachgas. Hinter dieser umgangssprachlichen Bezeichnung steht Distickstoffmonoxid (N2O), ein farb- und geruchsloses Gas mit einem leicht süßlichen Geschmack. In der Medizin wird es mit zusätzlicher Sauerstoffbeigabe als Narkosemittel verwendet, damit zum Beispiel Zahnbehandlungen, Geburten oder ästhetische Eingriffe angst- und schmerzfreier ablaufen. Der Raumfahrt dient es als Oxidationsmittel und bei Ottomotoren kann es die Leistung steigern. Die Lebensmittelindustrie setzt es als Lösungsmittel für Aromen oder als konservierendes Schutzgas für längere Haltbarkeit ein. Der Zusatzstoff E942 dient hier auch als Treibgas zum Aufschäumen von Sahne. Neben gebrauchsfertigen Sahnesprays sind dafür im Handel auch kleine Gaskartuschen erhältlich. Diese werden von Jugendlichen und jungen Erwachsenen inzwischen vermehrt für den berauschenden ›Freizeitspaß‹ zweckentfremdet. Dafür werden die kleinen Metallkapseln mit einem speziellen Werkzeug (Cracker) geöffnet und das ausströmende Gas in einem Luftballon aufgefangen, aus dem es anschließend inhaliert wird. »Fachstellen für Suchtprävention berichten von einem zunehmenden Konsum von Lachgas in der Partyszene«, so Helga Meeßen-Hühne, Leiterin der Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt.
Bedenkenlos ins Gesundheitsrisiko
Aufgrund seiner harmlos wirkenden Bezeichnung werde Lachgas laut der Landesstelle für Suchtfragen oft unterschätzt, was viele Jugendliche zu riskantem Konsum verleite. Neben der Gefahr einer Abhängigkeit könnten dadurch Nervenschäden auftreten, die zu ernsthaften Gesundheitsproblemen wie Lähmungen führen. Der Sauerstoffmangel während des Konsums könne zu Bewusstlosigkeit, Herz-Kreislauf-Versagen und langfristigen Hirnschäden führen. Auch kühle sich Lachgas beim Ausströmen aus den Behältnissen erheblich ab, was zu Erfrierungen führen könne, etwa des Fingers an den Kartuschen oder von Mund und Lippen, wenn direkt aus den Behältnissen konsumiert werde. Letzteres könne durch den Druck des ausströmenden Gases in schweren Fällen zu Lungenverletzungen bis hin zum lebensbedrohlichen Pneumothorax führen.
»In der freien Wildbahn ist das mit der richtigen Dosis Glückssache«, denn anders als bei medizinischen Behandlungen erfolge keine Überwachung, warnte der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte. Nebenwirkungen wie Schwindel, Desorientierung, Übelkeit, Benommenheit oder Ohnmacht beeinträchtigen die Koordination und das Gleichgewicht. Das kann zu schweren Stürzen führen und ist insbesondere im Straßenverkehr ein erhebliches Unfallrisiko. Besonders unkalkulierbar sind Wechselwirkungen mit anderen Substanzen wie Alkohol, Cannabis oder Amphetaminen. Eine Überhitzung des Körpers ist dabei ebenso möglich wie eine lebensbedrohliche Unterversorgung mit Sauerstoff oder eine tödliche Atemdepression. Mischkonsum erhöht auch die Gefahr einer Überdosierung, verdeutlicht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrem Onlineportal drugcom.de
In der freien Wildbahn ist das mit der richtigen Dosis Glückssache
Social-Media-Trend
»Die Erfassung des Lachgaskonsums ist schwierig«, weiß Meeßen-Hühne. Der Kauf im Einzelhandel und über Verkaufsautomaten ermögliche einen anonymen und kaum regulierten Zugang. In Statistiken seien daher selten konkrete Zahlen zu Lachgas verfügbar. Die Drogenagentur der Europäischen Union (European Union Drugs Agency, EUDA) verweist daher auf einen signifikanten Anstieg der gemeldeten Vergiftungen bei den Giftnotrufzentralen in europäischen Ländern wie Dänemark, Frankreich und den Niederlanden. Diese Länder haben bereits individuell mit Regulierungen und Einschränkungen auf den Substanzmissbrauch reagiert. Dieser resultiere unter anderem aus dem Verkauf größerer Gasflaschen, die gezielt auf den Freizeitmarkt ausgerichtet seien. Am Kiosk, in Automaten oder über vielfältige Internetangebote sind mittlerweile ganz unterschiedliche Behältergrößen zu kaufen. Diese einfache, anonyme und unkontrollierte Verfügbarkeit fördere einen regelmäßigeren und stärkeren Konsum, die Gefahr für gesundheitliche Folgen steige. Zudem animieren scheinbar lustige Konsumvideos junger Menschen in den sozialen Medien zum Nachahmen und musikalische Idole beschönigen etwa beim Hip-Hop den Lachgas-Konsum mit Textzeilen wie »zieh am Ballon und die Welt wird bunter«.
In der Realität wird die Welt durch den Lachgas-Konsum verschmutzt. Als Treibhausgas ist es laut Umweltbundesamt rund 265-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid und trägt so maßgeblich zur Zerstörung der Ozonschicht bei. Als Klimakiller aus stickstoffhaltigen Düngemitteln, der Tierhaltung, Prozessen in der chemischen Industrie und Verbrennungsprozessen nimmt Lachgas nach Methan den dritten Platz ein. Der Freizeitkonsum verursacht hingegen Müll, der Grünflächen, Wege und Parkplätze verschmutzt, weil Gasbehälter und Ballons häufig einfach liegen bleiben. Doch selbst bei ordnungsgemäßer Entsorgung sind die Behälter problematisch. Sind diese nicht ganz leer, explodieren sie bei der Müllverbrennung, warnte unlängst die Berliner Stadtreinigung. Bis zu fünf Explosionen geschehen so täglich in der Hauptstadt. Sie würden die Verbrennungskessel schädigen, Reparaturen erfordern und deshalb zum Stillstand der Anlage führen. Die Kosten seien erheblich. Eine Pfandpflicht auf die Gaskartuschen wäre deshalb unbedingt zu empfehlen.
Prävention mit Bedacht
Über die Gesundheitsgefahren von Lachgas informieren zunehmend mehr Influencer und Medien. Die Aufklärung im Bereich der Prävention sei jedoch nicht unproblematisch, gibt Meeßen-Hühne zu bedenken. »Einerseits ist es wichtig, Jugendliche über die Gesundheitsrisiken aufzuklären. Andererseits besteht das Risiko, dass zu breite Aufklärung einen Werbecharakter entwickeln könnte, der bei uninformierten Jugendlichen Neugierde wecken kann.« Ein sensibler und gezielter Umgang sei hierbei notwendig. In allgemeinen Präventionsveranstaltungen zur Suchtaufklärung werde Lachgas punktuell thematisiert, stehe jedoch weniger im Fokus als Alkohol oder Cannabis.
»Ein Verkaufsverbot für Lachgas an Jugendliche wäre ein wichtiges Signal und könnte den Zugang reduzieren«, so Meeßen-Hühne. »Allerdings reicht dieses Verbot nicht aus, da Lachgaskapseln zunehmend über Verkaufsautomaten zugänglich sind.« Diese gelten als Risikoquelle für Jugendliche, da oft keine Alterskontrollen erfolgten. »Hier eine ähnliche Regulierung wie für alkoholische Getränke anzustreben«, sei sinnvoll. Diese dürfen nach dem Jugendschutzgesetz in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden.
Ein Verkaufsverbot für Lachgas an Jugendliche wäre ein wichtiges Signal und könnte den Zugang reduzieren
Gesetzliche Regelungen auf dem Weg
Das Bundesgesundheitsministerium hat auf die Problematik mit einem Gesetzentwurf zur Anpassung des Neuepsychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG) reagiert. Dieses verbietet verschiedene Gruppen von synthetisch hergestellten Drogen. Mit einer Anpassung der Definition eines neuen psychoaktiven Stoffes (NPS) sollen künftig Lachgas und zwei psychoaktive Chemikalien, die als ›K.o.-Tropfen‹ oder ›Vergewaltigungsdrogen‹ dienen, einbezogen werden. Damit wäre ein gesetzliches Umgangsverbot für bestimmte Mengen vorgegeben. Der Einsatz in Industrie, Wissenschaft oder Medizin bliebe weiterhin ebenso möglich wie in Sprühsahneflaschen. Ein entsprechender Entwurf, der für Lachgas ein generelles Verkaufsverbot an Automaten, im Spätkauf und über den Versandhandel vorsieht, sowie zusätzlich ein Abgabe, Erwerbs und Besitzverbot für Minderjährige wurde am 13. November vom Bundeskabinett gebilligt. Trotz Auflösung der Ampelkoalition könnten diese Einschränkungen noch vor der neuen Bundestagswahl realisiert werden, wenn alle Parteien den wichtigen Schritt zum Schutz der Kinder und Jugendlichen mehrheitlich unterstützen.