Wie zeigt sich Rassismus im Gesundheitswesen?

Von Martin Dutschek Lesezeit 4 Minuten
Dr.Cihan Sinanoğlu, Leiter des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung

Rassismus und Benachteiligung von Schwarzen, muslimischen und asiatischen Personen im Gesundheitssystem sind keine Seltenheit. Das belegt unter anderem ein aktueller Bericht des Nationalen Disriminierungsund Rassismusmonitors (NaDiRa), den das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) veröffentlicht hat. forum hat nachgefragt bei Dr.Cihan Sinanoğlu, Leiter des DeZIM.

Wer ist besonders von Rassismus im Gesundheitswesen betroffen?

In unserer Studie haben wir uns drei rassistisch markierte Gruppen angeguckt: Schwarze, asiatische und muslimische Menschen. Alle drei Gruppen machen in unterschiedlichen Bereichen der Gesundheitsversorgung Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen.

Welche Erfahrungen sind das?

Wir haben mehr als 21000 Personen in Deutschland befragt und unter anderem festgestellt: Rassistisch markierte Personen erhalten schlechter Termine in der ärztlichen Praxis und finden weniger Gehör mit ihren Leiden. So hat knapp jede dritte rassistisch markierte Person angegeben, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen wurden. Besonders muslimische Frauen (39 %) und asiatische Frauen (37 %) haben deswegen die Ärztin oder den Arzt gewechselt.

Welche Folgen hat Diskriminierung im Gesundheitswesen?

Menschen, vor allem Frauen vermeiden es zum Beispiel, zur Ärztin oder zum Arzt zu gehen. So geben 13% bis 14% der Schwarzen, asiatischen und muslimischen Frauen an, eine Behandlung aus Angst vor Diskriminierung verzögert oder komplett gemieden zu haben. Bei Männern liegt der Anteil bei etwa 8%.

Was machen rassistische Erfahrungen mit den Betroffenen?

Je häufiger Diskriminierungs- und/oder Rassismuserfahrungen gemacht werden, desto stärker fallen die Hinweise auf eine Angststörung und depressive Symptome aus. Neben den direkten negativen Konsequenzen für Betroffene, denen die Versorgungszugänge außerdem noch erschwert werden, kann auch die Gesamtgesellschaft durch zusätzliche Gesundheitskosten, zum Beispiel durch Arbeitsausfälle belastet werden. Zudem senken Diskriminierungserfahrungen das generell hohe Grundvertrauen, das gerade rassistisch markierte Menschen in das Gesundheitssystem haben.

Rassistische Diskriminierung wirkt sich laut der Studie auch auf den Zugang zu Gesundheitsleitungen aus. Was heißt das?

Das Menschenrecht auf Gesundheit ist für Asylsuchende gesetzlich eingeschränkt. Beispielsweise berichten Geflüchtete, wie die gesetzlich vorgeschriebene Vergabe von Behandlungsscheinen durch die Sozialämter die medizinische Behandlung von erkrankten Menschen verzögert oder gar verhindert und wie nicht-medizinisch qualifiziertes Personal über die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung entscheidet. Zudem gilt die im Asylbewerberleistungsgesetz verankerte Einschränkung von Gesundheitsleistungen für Asylsuchende, die dazu führt, dass bestimmte gesundheitsrelevante Leistungen für einige der Befragten nicht übernommen werden.

Ein positives Beispiel: Am Universitätsklinikum Oldenburg fließt die Diagnostik bestimmter Erkrankungen von Patientinnen und Patienten mit schwarzer Hautfarbe in die Ausbildung von Medizinern mit ein. Was müsste sich generell ändern, um rassistische Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung zu reduzieren?

Wollen wir etwas verändern, müssen wir die Verschränkungen von Rassismus auf individueller, institutioneller und struktureller Ebenen in den Blick nehmen und auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig handeln. Wir haben zwölf Handlungsempfehlungen entwickelt:

Mainstreaming: Es gilt, Diskriminierung und Rassismus umfassend zu thematisieren. Das Thema sollte in der Politik und in institutionellen Kontexten, in Schulen, Ausbildungsstätten und der Arbeitswelt, aber auch in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Interessenvertretungen oben auf der Agenda stehen.

Institutionen: Forschungsbasierte Maßnahmen gegen Rassismus und Diskriminierung sollten in institutionellen Kontexten etabliert werden: Besonders wichtig ist es, Ungleichbehandlungen in Ämtern und Behörden durch politische Maßnahmen in Angriff zu nehmen.

Wissen: Diskriminierende Wissensbestände in der medizinischen Versorgung müssen durch Ausbildung und Fortbildung abgebaut werden: Beispielsweise sind Vorurteile gegenüber bestimmten Patient*innengruppen und deren ›übertriebenes‹ Schmerzempfinden derartig verbreitet, dass sie sich in diagnostischen Bezeichnungen zeigen. Begriffe wie ›Morbus Mediterraneus‹, ›Morbus Bosporus‹ oder ›Mammamia-Syndrom‹ legen nahe, dass insbesondere Menschen mit Migrationserfahrung aus mediterranen Ländern davon betroffen sind.

Sprache: Diskriminierungs- und rassismussensible Sprache und Bilder in der Gesundheitsversorgung und in der medizinischen Lehre sollten gestärkt werden: Beispielsweise werden Hautkrebserkrankungen bei Schwarzen Menschen häufig zu spät entdeckt, was auch damit begründet wird, dass dies nicht in medizinischen Lehrmaterialien abgebildet ist. Fach- und Lehrbücher sind also entsprechend zu überarbeiten.

Intersektionalität: Medizinische Forschung muss interdisziplinärer gestaltet –und geschlechtsbasierte Diskriminierung mit Forschung zu Rassismus verknüpft werden: Hier hat zum Beispiel das RKI im Frauengesundheitsbericht 2020 darauf hingewiesen, dass enorme Datenlücken in Bezug auf Migrantinnen, deren Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten und Gesundheitsversorgung bestehen.

Politik: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss reformiert und auf staatliches Handeln ausgeweitet werden, um vor allem bei institutioneller Diskriminierung angemessenen Rechtsschutz zu gewährleisten.

Beratung: Melde- und Beratungsstellen sollten flächendeckend ausgebaut und unabhängige und niedrigschwellige Meldestellen für betroffene Personen fest verankert werden. Zusätzlich können sozialpsychologische und rechtliche Beratungsangebote helfen, Betroffene zu unterstützen.

Versorgung: Es braucht mehr psychotherapeutische Plätze. Die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Rassismus sollte als ein Teil in die Ausbildung integriert werden. Bereits praktizierende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten brauchen spezielle Weiterbildungsmaßnahmen. Sind sie selbst potenziell von Rassismus und Diskriminierung betroffen, können sie Betroffenen zudem wichtige Unterstützung bieten und sollten gefördert werden. Insbesondere in strukturschwachen Regionen müssen ausreichend Therapieplätze geschaffen werden.

Versorgung: Es braucht diskriminierungsfreie Terminvergaben: Jede ärztliche Praxis kann dazu beitragen, einen diskriminierungsfreieren Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, zum Beispiel indem Termine über digitale Plattformen bzw. Apps vergeben werden, so dass Betroffene nicht im direkten Kontakt mit der Praxis stehen müssen.

Sprache: Wir müssen Sprachbarrieren abbauen: Besonders vulnerable Menschen wie Asylsuchende, die Anspruch auf gesundheitliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben, benötigen einen gesicherten Anspruch auf Sprachmittlung. Allerdings ist die Sprachmittlung im Gesetz aktuell nur eine Kann-Leistung, die gesondert beantragt und bewilligt werden muss. Das reicht keineswegs aus, um eine Verständigung zu sichern.

Betroffene: Es gilt, Communitys zu stärken: Ein erster wichtiger Schritt für den Aufbau entsprechender Angebote ist das Modellvorhaben der Antirassismusbeauftragten zur Finanzierung communitybasierter Beratungsnetzwerke in Migrant*innenselbstorganisationen.

Versorgung: Notwendig ist es auch, spezifische Maßnahmen für Asylsuchende und Menschen ohne Krankenversicherung zu gestalten: Einige Bundesländer haben Clearingstellen eingerichtet, die beraten und bei der Vermittlung medizinischer Behandlungen helfen. Je nach Konzept ist eine Finanzierung der Behandlungskosten möglich. Damit erfüllen sie eine wichtige Lotsenfunktion und unterstützen Menschen ohne Krankenversicherung dabei, einen Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung zu erhalten. Clearingstellen bundesweit einzurichten und besser auszustatten, ist ein wichtiges Ziel und wird bereits von zivilgesellschaftlichen Akteuren empfohlen.

Was können Betroffene selbst tun, um rassistischen Diskriminierungen entgegen zu wirken?

Sie können sich an Beschwerde- und Meldestellen wenden, sofern es diese in den Städten gibt. Ein anderer Weg ist es, sich auch an Parteien oder die Medien zu wenden, um auf die Zustände aufmerksam zu machen.

Titelbilder vergangener Ausgaben

forum-Archiv

Hier finden Sie ältere Magazin-Ausgaben als PDF zum Download.