Alter und Krankheit machen vor Gefängnismauern keinen Halt. Gesundheitliche Probleme der Inhaftierten nehmen zu, die sozialen Bedürfnisse verändern sich: Entwicklungen, denen Justizvollzugsanstalten begegnen müssen.
Mit der demografischen Entwicklung verändert sich auch die Altersstruktur in den 172 Justizvollzugsanstalten (JVA) in Deutschland. Oft begünstigen die Lebensläufe altersbedingte Einschränkungen und Krankheiten. Im Vergleich zu jüngeren Inhaftierten sind Ältere häufiger körperlich eingeschränkt, psychisch belastet und in ärztlicher Behandlung. Einen einheitlichen Umgang mit ihren besonderen Bedarfen gibt es nicht. Spezielle gesetzliche Vorgaben fehlen. Den Anforderungen an Barrierefreiheit können viele meist ältere Gefängnisgebäude nicht gerecht werden. Hindernisfreie Räume, Toiletten und Bäder finden sich längst nicht überall, ebenso wie spezielle Betreuungskonzepte oder Angebote, die sich an den Bedürfnissen von älteren Menschen orientieren (z. B. altersgerechte Verpflegung, Präventions- oder Beschäftigungsprogramme). Auch muss das Personal für die Situation von älteren und/oder pflegebedürftigen Inhaftierten sensibilisiert sein. Gerade bei Inhaftierten mit erhöhter Pflegebedürftigkeit geraten Justizvollzugsanstalten an ihre Grenzen. Einrichtungen, die zielgerichtet auf die Probleme Älterer eingehen, finden sich nur punktuell.
In Zahlen
Von 2017 bis 2022 ist die Gesamtzahl der Strafgefangenen in Deutschland von 51082 um fast ein Fünftel auf 41 888 zurückgegangen. Der Anteil an Gefangenen über 60 Jahren hat sich dabei allerdings um drei Fünftel erhöht. Im Jahr 2022 waren 1698 Insassen zwischen 60 und 69 Jahre alt, 403 Personen zwischen 70 und 79 Jahren und 50 zwischen 80 und 89 Jahren. Daneben ist auch die Zahl der Sicherungsverwahrten von 561 auf 604 gestiegen. Gemeint sind Personen, die auch nach einer verbüßten Freiheitsstrafe weiter in staatlicher Verwahrung bleiben, weil sie eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellen. Darunter ist, so Fredericke Leuschner und Elena Rausch von der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ), ein beachtlicher Anteil lebensälterer Personen.
»Früher war ich ein kräftiger Typ«, sagt Michi* nostalgisch. »Da habe ich mir nichts sagen und gefallen lassen.« Von seiner Stärke ist wenig geblieben. »Durch den Krebs habe ich sehr abgebaut«, sagt der 63-Jährige. Als Vollzugsbehörde ist jede JVA verpflichtet, für die körperliche und geistige Gesundheit ihrer Gefangenen zu sorgen. Die reguläre Kranken- und Pflegeversicherung ruht zwar während einer Haftstrafe, aber der Anspruch auf medizinische Versorgung bleibt der gleiche, nur ohne freie Arztwahl. Das beinhaltet die ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz sowie eine Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Vorsorgeleistungen, zum Beispiel Impfungen oder Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten wie Diabetes oder Krebs, gehören ebenfalls dazu. Den Regelungen der Gesundheitsfürsorge ordnet sich auch das Thema ›Pflege‹ zu. Der Strafvollzug ist in Deutschland Ländersache und wird dort durch unterschiedliche Gesetze geregelt.
Individuelle Umsetzung in den Ländern
»Bei der Vorsorgeuntersuchung haben die festgestellt, dass da was nicht stimmt«, sagt Michi. »Ich hab das schon geahnt, weil ich mich ständig so abgeschlagen gefühlt habe, aber das wollte ich mir nicht anmerken lassen.« Kranke und hilfsbedürftige Gefangene werden nach Möglichkeit in der JVA vor Ort behandelt und versorgt. Alle Justizvollzugsanstalten in Deutschland verfügen dafür über einen ärztlichen bzw. medizinischen Dienst mit Gesundheitspersonal, der bei Bedarf andere Fachärztinnen und Fachärzte hinzuziehen kann. Daneben sind meist ein psychologischer, pädagogischer und seelsorgerischer Dienst sowie ein Sozialdienst aktiv. Allerdings sind auch die Justizvollzugsanstalten zunehmend von Personalnot bedroht. Laut Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) fehlen bundesweit rund 2000 Justizvollzugsbeamtinnen und -beamte. Die Stellen seien da, könnten aber nicht besetzt werden – ein Problem, das sich weiter verschärfen wird, denn in den nächsten Jahren gehen viele Beschäftigte in den Ruhestand.
Die personelle Situation beeinflusst insbesondere die Betreuung älterer und pflegebedürftiger Insassen. Einige Gefängnisse setzen deshalb sorgfältig ausgewählte Gefangene als »Alltagshelfer« ein, die ihre hilfebedürftigen Mithäftlinge bei der Alltagsbewältigung unterstützen. Individuelle Hilfsmittel wie Aufstehhilfen, Haltegriffe und -stangen erleichtern den Alltag ebenso wie Vollzugsmitarbeitende, die bei der Medikamentengabe oder den Mahlzeiten unterstützen.
In vielen Einrichtungen ist es üblich, externe ambulante Pflegedienste einzubinden, wenn sich der pflegerische Unterstützungsbedarf erhöht. Einfach ist das jedoch nicht, denn viele Pflegedienste sind ohnehin ausgelastet oder haben Bedenken gegen die Arbeit in einer JVA.
Für eine Operation oder eine Krankenhausbehandlung kommen Gefangene in eines der wenigen Justizvollzugskrankenhäuser in Deutschland. Da diese nur über begrenzte Kapazitäten verfügen, können in Ausnahmefällen auch Kliniken außerhalb des Strafvollzugs genutzt werden.
Spezielle Angebote
Steigt der pflegerische Unterstützungsbedarf, können Häftlinge in einigen Bundesländern wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen auch in eigens darauf ausgerichteten Justizvollzugsanstalten mit Pflegeabteilungen für Männer oder Frauen untergebracht werden. Die begrenzten Plätze sind hier älteren Menschen vorbehalten, die erheblich gesundheitlich eingeschränkt und/oder chronisch krank sind. Die Pflege übernehmen Mitarbeitende des allgemeinen Vollzugsdienstes mit pflegerischer Ausbildung.
Pflege anzunehmen, musste Michi erst lernen: »Auch wenn das am Anfang für mich schwierig war, auf andere angewiesen zu sein, bin ich froh, dass die Frau vom Pflegedienst kommt. Ansonsten will ich einfach nur meine Ruhe«, meint er. Gerade lebensältere Gefangene haben oft ein zunehmendes Ruhebedürfnis. Der Hofgang mit den anderen Häftlingen kann ein Stressfaktor sein, die Furcht vor Auseinandersetzungen wächst. »Den anderen Häftlingen gehe ich inzwischen lieber aus dem Weg«, bestätigt auch Michi. Gründe, weshalb Bundesländer wie Sachsen, Brandenburg, Hessen, NRW, Baden-Württemberg oder Bayern in bestimmten Justizvollzugsanstalten eine begrenzte Anzahl an Plätzen nur für ältere Gefangene haben. Ohne die Konkurrenz zu Jüngeren finden die veränderten Bedürfnisse hier mehr Berücksichtigung. Ein externer Pflegedienst ist häufig für die Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Leistungen eingebunden.
Wenn das Lebensende naht
Lassen sich Pflegeaufwendungen im Strafvollzug nicht mehr abdecken, prüft und entscheidet die Staatsanwaltschaft bzw. bei Sicherungsverwahrten oder Mördern das Gericht, ob die Person haftuntauglich ist und im Zuge einer Haftunterbrechung in einer herkömmlichen Pflegeeinrichtung untergebracht werden kann. Schon vor der Entscheidung kann die JVA auf eigene Kosten den Medizinischen Dienst mit einer Feststellung der Pflegebedürftigkeit beauftragen, um die Aufnahme in einem Pflegeheim sicherzustellen. Mit Beginn einer Haftunterbrechung ist die JVA dann nicht mehr für die Person zuständig. Die Kranken- und Pflegeversicherung wird wieder aktiviert. Sofern bis dahin noch keine Pflegebegutachtung stattfand, wird diese dann von der Pflegekasse beauftragt. Beim teils schwierigen Übergang von der JVA in ein Pflegeheim helfen Sozialdienst und medizinische Abteilung der Justizvollzugseinrichtung sowie Wohlfahrtsverbände und regionale Netzwerke oder Vereine.
»Lebend komme ich hier nicht mehr raus«, mein Michi und lacht. Wie sich der letzte Lebensabschnitt bei einer lebensbedrohlichen Krankheit, die bald zum Tode führen wird, angemessen gestalten lässt, wenn keine Haftunterbrechung bewilligt wird, bleibt die Herausforderung der JVA. Diese kann dann beispielsweise eine palliative Begleitung innerhalb des Strafvollzugs initiieren. »Zumindest brauche ich mich um nichts kümmern und bin hier gut versorgt«, zieht Michi sein Fazit.
* Name geändert