Mehr als vier Millionen pflegebedürftige Menschen werden zu Hause gepflegt – zumeist von Angehörigen und oft bis zur Erschöpfung. Was sich für pflegende Angehörige ändern muss.
»Die Pflege macht mich kaputt – ich gehe ein wie eine Primel«, beschreibt Kornelia Schmid ihre Situation als pflegende Angehörige. Die 64-Jährige pflegt ihren an Multipler Sklerose (MS) erkrankten Mann mit Pflegegrad 5 seit Jahren in der gemeinsamen Wohnung in Amberg. Sie ist rund um die Uhr für ihn da, stimmt den Pflegedienst ab, kümmert sich um Ergo- und Physiotherapie, fährt zu Arztterminen, koordiniert die Betreuung und schmeißt den Haushalt.
Mehr Aufklärung und Entlastung
Viele pflegende Angehörige reduzieren ihre Berufstätigkeit oder geben sie ganz auf – wie Kornelia Schmid. Die Folge: Diese Arbeitskräfte fehlen in anderen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Drittel der Menschen, die aufgrund von Pflege ihren Arbeitsumfang reduzieren (meist Frauen), ist ungewollt in dieser Situation, weil es keine oder zu wenig Betreuungsplätze gibt. Wie viele pflegende Angehörige es hierzulande gibt, kann nur hochgerechnet werden. Schätzungen gehen von 9 bis 37% der Bevölkerung in Deutschland aus.
»Pflegende Angehörige sind ein unverzichtbarer Versorgungsakteur im deutschen Gesundheits- und Pflegesystem«, bestätigt das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Da diese Gruppe ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Probleme habe, sei Prävention besonders wichtig. »Gesetzlich vorgesehene Entlastungsangebote bzw. Leistungsansprüche, etwa ambulante Pflege oder Tagespflege, sollten in angemessener Quantität und Qualität flächendeckend verfügbar sein«, fordert das ZQP. Weitere Ansatzpunkte seien eine professionelle Beratung, die Identifikation individueller Belastungsfaktoren, gezielte Unterstützungsmöglichkeiten und Schulungsangebote. »Als mein drittes Kind im Kindergarten war, ist mein Mann erkrankt«, erinnert sich Kornelia Schmid. »Das heißt, neben meinen Kindern habe ich zugleich begonnen, meinen Mann zu pflegen. Aber anders als bei der Kindererziehung – die ohne Frage auch anstrengend und anspruchsvoll ist – gibt es bei der Pflege von Angehörigen keine Perspektive. Im Gegenteil: Bei Erkrankungen wie Parkinson, MS oder Demenz wird es mit den Jahren immer schlimmer«, gibt sie offen zu.
»Die Leute fühlen sich so alleingelassen«
Natürlich gebe es Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige – das weiß Kornelia Schmid aus erster Hand. 2017 hat sie den Verein Pflegende Angehörige e.V. in Amberg gegründet, um zu informieren und zu vernetzen. »Die Leute fühlen sich so alleingelassen. Wir brauchen mehr Aufklärung zur Pflegebedürftigkeit«, berichtet sie aus ihrem Netzwerk. »Unser Pflegesystem gibt schon viel her, wenn man die richtigen Leute kennt, am richtigen Ort wohnt und sonst nichts dazwischenkommt, zum Beispiel man selbst erkrankt – dann bricht nämlich das ganze schön organisierte System zusammen. Pflegende Angehörige brauchen Auszeiten, um wieder zu Kräften kommen zu können. Dafür benötigen wir flächendeckende und praxisnahe Unterstützungsmöglichkeiten – sowohl finanziell als auch körperlich und emotional«, sagt sie.
Die Problematik ist auch der Fachwelt bekannt: »Pflegende Angehörige müssen sich wieder darauf verlassen können, die benötigte professionelle Unterstützung zu finden. Dafür sind schnellere und vor allem auskömmliche Refinanzierungen der steigenden Kosten bei den Pflegeeinrichtungen ebenso notwendig wie massive Maßnahmen zur Gewinnung zusätzlicher Pflegekräfte«, sagt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. Es gibt viele Forderungen, politische Konzepte, Vorschläge für Veränderungen. Dass sich etwas verändern muss, ist allen klar. Nur in der Praxis sei dies oft (noch) nicht zu spüren. Kornelia Schmid indes liegt eines besonders am Herzen: »Ich wünsche mir mehr Anerkennung für die riesige Pflegeleistung der Angehörigen.«