Pharma-Sponsoring mit Nebenwirkungen?

Von Stefanie Roloff Lesezeit 4 Minuten
Medikamentenblister und Pillendose in einem Spielzeug-Einkaufswagen

Viele ärztliche Fortbildungen werden von Pharmafirmen finanziert. Kritische Stimmen befürchten einen möglichen Einfluss auf Patientenbehandlungen und medizinische Verschreibungen.

Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden, sonst droht ihnen der Verlust ihrer Zulassung. Dem nachzukommen ist nicht schwer, denn das Angebot an anerkannten ärztlichen Fortbildungen in Deutschland ist groß. Dabei werden viele Veranstaltungen von Pharmaunternehmen finanziert. Die Berliner Ärztekammer gab auf Anfrage der Berliner Zeitung bekannt, dass im Jahr 2022 in Berlin 2460 von 18 441 anerkannten ärztlichen Fortbildungen gesponsert waren. Die Tendenz setzte sich auch in der ersten Hälfte des Jahres 2023 fort mit 1155 gesponserten Veranstaltungen von 9749. Dies entspricht insgesamt nahezu 13% der Fortbildungen. Dabei müssen Fortbildungsinhalte laut Gesetz »frei von wirtschaftlichen Interessen sein«. Es habe sich jedoch gezeigt, »dass diese Formulierung aus dem SGB V einen Interpretationsspielraum bietet, so dass in einzelnen Fällen nach gerichtlichen Entscheidungen auch Veranstaltungen anerkannt werden müssen, bei denen das aus Sicht der Kammern zweifelhaft erscheint«, sagt Samir Rabbata, Leiter des Dezernats Politik und Kommunikation der Bundesärztekammer.

Genau hier sehen kritische Stimmen den entscheidenden Punkt. Denn Ärztinnen und Ärzten ist es laut Berufsordnung verboten, Vergünstigungen und Zuwendungen anzunehmen, wenn dadurch der Eindruck entsteht, dass die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen beeinflusst wird. Eine Gefahr der Einflussnahme entstehe laut Rabbata immer dann, wenn das Prinzip der Reziprozität – also der Wunsch, jemandem etwas zurückzugeben, der uns Gutes getan hat – als Marketinginstrument zum Einsatz komme, um Profite zu erzielen. Aus diesem Grund gebe es das oben beschriebene Verbot unerlaubter Zuwendungen. Für den Dezernatsleiter ist deshalb Transparenz eine der wichtigsten Maßnahmen gegen unerlaubte und unbemerkte Beeinflussung – »und dass sich alle an die vorhandenen Regelwerke halten«.

Mehr Transparenz gefordert

Für mehr Transparenz und gegen Einflussnahme im Gesundheitswesen setzt sich seit 2007 auch die Ärztinnen- und Ärzte-Initiative »MEZIS – mein Essen zahl’ ich selbst« ein. Dem eingetragenen Verein gehören rund 1000 Mitglieder an. »Durch neuere gesetzliche Regelungen, den sogenannten ›AntiKorruptions-Paragraphen‹, sind direkte finanzielle Zuwendungen an Medizinerinnen und Mediziner schwierig geworden«, sagt Dr. Niklas Schurig, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin in Rastatt und MEZIS Vorstandsmitglied. Dies werde aber von der Pharmaindustrie umgangen, etwa, wenn Medizinerinnen und Mediziner als ›Berater‹ auf Kosten der Industrie zu Kongressen flögen und für diese ›Gegenleistung‹ eingekauft würden. Als weitere Schlupflöcher führt er das »massive Sponsoring von Patient:innenorganisationen und medizinischen Fachgesellschaften« an, da hier keine Regelungen vorlägen.

Außerdem werde die Forschung »fast schon routinemäßig über Drittmittel an Universitäten durch die Pharmaindustrie mitfinanziert«.

MEZIS fordert deshalb unter anderem, den Ärztekammern zu ermöglichen, nur noch Fortbildungen zu zertifizieren, die frei von wissenschaftlichen Interessen sind. Dafür bedürfe es einer überarbeiteten Musterfortbildungsordnung, so Schurig. Zudem fordert die Initiative mehr Transparenz beim Sponsoring von Fachgesellschaften, vor allem bei denjenigen, die bei Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) mitwirken, sowie perspektivisch eine klar definierte Grenze für Sponsoring.

Freiwillige Selbstkontrolle?

Um dem Vorwurf der unlauteren Einflussnahme entgegenzuwirken, haben sich 58 Pharmaunternehmen im Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA) zusammengeschlossen, darunter unter anderem Astra Zeneca, Bayer und Boehringer Ingelheim. Der FSA hat es sich laut Selbstverständnis zum Ziel gesetzt, »die korrekte Zusammenarbeit von pharmazeutischen Unternehmen und Ärzten, Apothekern sowie weiteren Angehörigen der medizinischen Fachkreise und den Organisationen der Patientenselbsthilfe« zu überwachen, und hat hierzu Verhaltensgrundregeln entwickelt.

Der Verein hält die Zusammenarbeit von Pharmaunternehmen mit Ärztinnen und Ärzten sowie Fachkreisen für unverzichtbar. Das gilt sowohl für Forschung und Entwicklung als auch für die klinische Erprobung von Arzneimitteln und für sachgerechte Therapie- und Verordnungsentscheidungen. Der kontinuierliche Wissenstransfer diene einer besseren Versorgung von Patientinnen und Patienten, sagt Dr.Uwe Broch, Geschäftsführer des FSA. Samir Rabbata von der Bundesärztekammer betont: Es liege auf der Hand, dass ein Know-how-Transfer zwischen Ärzteschaft und Pharmaindustrie wünschenswert sei, »um Bedarf, Entwicklung und Anwendung von Pharmaprodukten im Zusammenschluss zu betreiben«.

Verstöße melden

Ganz anderer Ansicht ist Niklas Schurig von MEZIS: »Für Haus- und Fachärztinnen und -ärzte ergeben sich durch die gesponserten Veranstaltungen oder Kontakte zu Pharmareferentinnen und -referenten keine Vorteile«, sagt er und kritisiert, dass sich die Pharmaindustrie durch eine freiwillige Selbstverpflichtung möglichen gesetzlichen Konsequenzen entziehe. Dem widerspricht der Geschäftsführer des FSA und verweist auf die strengen Verhaltens-Kodizes seines Vereins. Um deren Einhaltung sicherzustellen, prüfe die FSA-Schiedsstelle mögliche Verstöße und sanktioniere das betreffende Mitgliedsunternehmen im Falle eines Kodexverstoßes. »Jeder und jede kann einen möglichen Verstoß auf der Website des FSA melden«, so Uwe Broch. Zudem veröffentlicht der FSA Zahlen zum Sponsoring. Laut eigenem Transparenzkodex haben die FSA-Mitgliedsunternehmen im Berichtsjahr 2021 Leistungen – zu einem Großteil für Forschung und Entwicklung – an Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Angehörige von medizinischen Fachkreisen und Institutionen in Höhe von rund 630 Millionen Euro erbracht. Darüber hinaus wurden Patientenorganisationen mit rund 7,7 Millionen Euro unterstützt.

Für Niklas Schurig sind diese Zahlen nur Schall und Rauch. Er verweist darauf, dass längst nicht alle Kolleginnen und Kollegen damit einverstanden seien, wenn deren Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie öffentlich würde. Aus diesem Grund gebe es insgesamt keine wirklich verlässlichen Zahlen. Laut FSA ist die Zustimmungsquote der Ärztinnen und Ärzte zur Namensveröffentlichung im Berichtsjahr 2021 zwar im Vergleich zu 2020 leicht gestiegen, lag aber weiterhin nur bei 22%.

Prof. Dr. Karsten Scholz, mittlerweile Leiter der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer, rät auf der Website der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Ärztinnen und Ärzten unter anderem dazu, vor einer Veranstaltungsteilnahme zu überprüfen, ob diese einen wissenschaftlichen Charakter habe. Auch solle man sich nur notwendige Kosten wie etwa Reisekosten erstatten lassen und für Zusatzkosten selbst aufkommen. Beim Besuch der Veranstaltung selbst solle auf Transparenz geachtet werden, etwa ob Referentinnen und Referenten auf Interessenkonflikte hinwiesen. Bei Unklarheiten könnten sich Ärztinnen und Ärzte an ihre zuständige Kammer oder die Kassenärztliche Vereinigung (KV) wenden. Eine genaue Information im Vorfeld ist laut Webseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auch wichtig, um nicht in den Verdacht auf Korruption mit schlimmstenfalls strafrechtlichen Konsequenzen zu geraten.

Heißes Eisen

Das Thema Pharmasponsoring bleibt also weiterhin ein heißes Eisen mit vielen verschiedenen Meinungen und Interessengruppen. Für Uwe Broch ist es etwa problematisch, »wenn Landesärztekammern allein deshalb eine Zertifizierung verweigern, weil die Fortbildungsveranstaltung durch ein Pharmaunternehmen gesponsert wird oder aber ein Pharmaunternehmen selbst der Veranstalter ist.« Samir Rabbata hält trotz aller Kritik und möglicher unlauterer Einflussnahme ein Kontaktverbot zwischen Pharmaindustrie und Ärzteschaft »weder für sinnvoll noch erforderlich«. Unerlaubte Zuwendungen müssten hingegen verboten bleiben.

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