Gesundheitspolitiker aus aller Welt pilgern seit Jahren nach Dänemark. Das Land im Norden zeigt, dass trotz Bettenabbau, Zentralisierung und trotz längerer Wege zur nächsten Klinik eine bessere medizinische Versorgung möglich ist.
Zwei Jahre, nachdem eine Expertenkommission in Deutschland mit Empfehlungen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung beauftragt wurde, geht die Krankenhausreform nun in die parlamentarische Schlussrunde. Wesentliche Blaupausen kommen aus Dänemark. Das Nachbarland hat geschafft, was hierzulande noch in der Planung steckt: einen radikalen Umbau einer notleidenden Krankenhauslandschaft.
Milliarden für Super-Hospitäler
Auch in Dänemark begann der Umbau eines rein staatlich organisierten Systems mit einer Expertenkommission. Eine der Fragen, die sie zu beantworten hatte: Was tun, wenn sehr viele Krankenhäuser alles machen, aber nur wenige mit Bestnoten in der medizinischen Versorgung? 2010 beschloss die Regierung, den Empfehlungen des Expertengremiums zu folgen: Aufgabe von jedem dritten Klinikstandort (16 von 79) bis 2026 und Finanzierung von sechzehn hochspezialisierten ›Super-Hospitälern‹, überwiegend durch Modernisierung bestehender Kliniken, in sechs Fällen durch Neubau.
6,5 Milliarden Euro wurden an staatlicher Förderung versprochen. Um die Politikerinnen und Politiker vor Ort für eine unpopuläre Schließung lokaler Kliniken zu gewinnen, wurden alle fünf Regionen, die Verwaltungseinheit zwischen Kommune und Zentralregierung, vor die Wahl gestellt: Wer Geld für den Bau eines Super-Krankenhauses vom Staat bekommen will, muss bereit sein, kleine Häuser aufzugeben und Strukturveränderungen zuzulassen. Eine Bedingung, die am Ende alle Regionen erfüllten. Und die Bilanz?
Heute sind zehn von 16 Super-Krankenhäusern in Betrieb. Drei sind im Aufbau. Fast alle glänzen mit innovativen digitalen Projekten von Operationsrobotern, fahrerlosen Transportfahrzeugen bis zu Tracking-Systemen, um schnell Betten, Patientinnen, Patienten, Personal und Geräte zu orten. Die neue Uniklinik in Aarhus, die mit 857 Klinikbetten und zahlreichen Hotelbetten für Angehörige so groß wie eine dänische Kleinstadt ist, zählt rund 10000 Beschäftigte in 44 Abteilungen, darunter 1700 Ärztinnen und Ärzte sowie 3750 Pflegekräfte. Das neue Super-Hospital in Gødstrup mit Einzelzimmern für 400 Patientinnen und Patienten ist für die Krankenversorgung in einem Gebiet zuständig, das doppelt so groß ist wie das Saarland. Drei der fünf kleinen Kliniken in der Umgebung wurden bereits geschlossen. Vor dem Neubau verläuft die neue Autobahn, die für eine schnelle Erreichbarkeit sorgen soll.
Tageskliniken ohne Betten geplant
An den Grundlinien der Reform wurde im Laufe der Jahre wenig geändert. Einige der neuen Hospitäler haben die Effizienzvorgaben schon heute erfüllt, wie Martin Nyrop Holgersen, im Gesundheitsministerium zuständig für das Bauprogramm, kürzlich der Fachzeitschrift Klinik-Management-aktuell mitteilte. Ob sich dies angesichts explodierender Baukosten durchhalten lässt, wird mancherorts bezweifelt. Einige Korrekturen gab es bereits. So hat die Regierung jetzt ein Konzept vorgelegt, das unter dem Titel ›Near Hospitals‹ die landesweite Gründung von zehn bis zwanzig Tageskliniken ohne Betten vorsieht. Es sind Ambulanzen für kleinere Erkrankungen, die einen wesentlichen Nachteil der Zentralisierung beheben sollen. »Der Wandel geschah auf Kosten der Nähe«, räumt Holgersen ein. Obwohl man gehofft hatte, dass die Super-Kliniken »wie Leuchttürme auf Distanz ein Gefühl der Sicherheit geben«. Laut Medienberichten müssen rund 10% der Dänen über 30 Kilometer weit zur nächsten Klinik fahren.
Nur wer eine Überweisung der Hausärztin oder des Hausarztes vorweisen kann, wird aufgenommen. Im Gegenzug werden Diagnosen schneller gestellt.
Vor allem aus Sorge, im Notfall lange Wege bis zur nächsten Klinik zurücklegen zu müssen, kam es in den ersten Reformjahren in ländlich abgelegenen Gegenden zu massiven Protesten. Nicht ohne Grund. Fast jedes zweite Krankenhaus mit Notfallaufnahme wurde geschlossen. Statt 45 gibt es heute nur noch 21, die gemeinsame Notaufnahmestationen betreiben. Um das Problem einer Überlastung mit ›unechten‹ Notfällen zu entschärfen, wurde der Zugang reglementiert. Nur wer eine Überweisung der Hausärztin oder des Hausarztes vorweisen kann, wird aufgenommen. Im Gegenzug werden Diagnosen schneller gestellt, so dass Patientinnen und Patienten gegebenenfalls wieder nach Hause fahren können und dort ambulant behandelt werden. Außerdem wurden die Rettungswagen digital besser ausgestattet, so dass bereits während der Fahrt nicht nur die Diagnose gestellt, sondern häufig auch schon mit der Behandlung begonnen werden kann. Die digitale Patientenakte, längst überall in Dänemark etabliert, erleichtert die Diagnose. Und seit drei Jahren sind größere medizinische Rettungshubschrauber mit Platz für zusätzliche Ausrüstung und Personal im Einsatz.
Mehr ambulante Behandlungen
Nach Ansicht des dänischen Gesundheitsökonomen Terkel Christiansen werden die neuen Strukturen mittlerweile akzeptiert. Eine erste Analyse, die Christiansen im vergangenen Jahr veröffentlichte, fiel unterm Strich positiv aus. So ist die Lebenserwartung der Dänen trotz Klinikschließungen um drei Jahre gestiegen; die Zahl der Todesfälle bei Herzerkrankungen um ein Viertel gesunken; die Wartezeit auf einen chirurgischen Eingriff um ein Fünftel.
Dem AOK-Bundesverband gegenüber betonte er unlängst, dass die ambulante Versorgung, die in Dänemark um 50% gestiegen sei, stärker im Fokus stehen müsse. Auch der Arbeitsdruck in der Pflege habe zugenommen. Grund seien immer mehr ältere Patientinnen und Patienten. Zudem kämpfen die Kliniken mit Personalmangel. Viele Stellen, so heißt es auch im Dänischen Gesundheitsministerium, könnten aktuell nicht besetzt werden.
Bleibt die Frage, ob sich Dänemark tatsächlich als Vorbild für Deutschlands Reformer eignet. Ministeriumsmitarbeiter Holgersen gibt zu bedenken, dass Dänemark mit seinen knapp sechs Millionen Einwohnern eine überschaubare Größe aufweist und auf staatlicher Ebene deutlich zentralisierter organisiert ist. Aber die Bündelung der Ambulanzen und die nationalen Vorgaben für die Spezialisierung der Kliniken hält er durchaus für übertragbar. Auch an der TU Berlin hat man sich in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem BKK-Dachverband, dem Deutschen Krankenhausinstitut und dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung mit der dänischen Reform beschäftigt. Elke Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Management im Gesundheitswesen, hat ähnliche Erfolgsdaten ermittelt wie ihr dänischer Kollege Christiansen. Als positiv wertet sie den Qualitätswettbewerb zwischen den Regionen und die Langfristigkeit der Reformplanung. Minuspunkte gibt es dagegen für eine unzureichende poststationäre Versorgung im ambulanten Bereich. »Aber Dänemark hat aus diesen Fehlern gelernt und nachgesteuert.« Trotz des Größenunterschieds der beiden Länder und der unterschiedlichen Trägerstruktur ist Berger überzeugt, dass die dänische Reform Vorbild für Deutschland sein sollte. »Ein klares Ja.«
Medien verstärkten Problembewusstsein
Doch gibt es in Deutschland die Bereitschaft für eine derart radikale Reform? Voraussetzung sei ein Problembewusstsein, das in Dänemark weit verbreitet war, während man hierzulande noch immer überzeugt ist, eins der besten Gesundheitssysteme der Welt zu haben, meint Elke Berger.
Ein Grund für das positive Reformklima in Dänemark war die Medienberichterstattung über mehrere Klinikskandale im Vorfeld der Reform. So hatte ein Krankenhaus auf Bornholm krebskranken Frauen die Brüste entfernt, nur weil man dort noch keine brusterhaltende Chirurgie beherrschte. Eine berühmte Rocksängerin überlebte ein Blutgerinnsel aufgrund einer Thrombolyse-Akuttherapie, über die nur wenige Krankenhäuser verfügten und die in einigen Häusern wochentags nach 15 Uhr nicht mehr angeboten wurde. Aber noch etwas ist nach Ansicht Bergers für die breite Akzeptanz wichtig gewesen: »Die skandinavischen Länder haben eine lange Tradition des Vertrauens in den Staat und ein gelebtes Prinzip der Gleichheit.« Dies habe diesen radikalen Umbau erleichtert.