Pflegende Angehörige könnten oft von mehr Entlastung profitieren. Warum nur wenige von ihnen Unterstützungsangebote nutzen, haben wir Andreas Büscher, Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück und Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege, gefragt.
Etwa 7,1 Mio. Menschen pflegen Angehörige – ohne sie würde die Pflege zusammenbrechen. Angehörigenpflege ist ein gesellschaftliches Thema, oder?
Unbedingt – auch weil die Zahl der Betroffenen jeden Tag steigt. Heute ist fast ein Zehntel der Bevölkerung täglich mit Pflege befasst. Aber es ist ein Thema, über das viel zu selten laut gesprochen wird: Im Prinzip sind wir froh, dass die Angehörigen die Pflege übernehmen, würden sie es nicht tun, würde es viel mehr Geld kosten und Personal erfordern – beides haben wir nicht.
Es gibt kaum Anhaltspunkte zur Einschätzung der Qualität der Angehörigenpflege: Wie gut sind Betroffene z. B. vorbereitet für die Aufgabe?
Kaum jemand bereitet sich auf eine Pflegesituation vor: Entweder es geschieht akut etwas, z. B. der klassische Schlaganfall, oder es passiert schleichend – weil jemand nicht mehr so gut zu Fuß ist oder sich nicht mehr alles merken kann. Angehörige kaufen erst mal ein, irgendwann kochen sie dann auch, und so geht es weiter. Die meisten machen das, weil es für sie selbstverständlich ist, sich um nahestehende Menschen zu kümmern.
Aber die meisten wissen nicht, welche emotionale, körperliche, finanzielle Belastung auf sie zukommt und holen sich erst Hilfe, wenn es gar nicht anders geht.
Genau – viele Pflegende wachsen in die Aufgabe und kommen irgendwie damit zurecht, bis das oft fragile Pflegearrangement zusammenbricht, z. B. weil die Angehörigen körperlich, aber auch emotional nicht mehr können. Dann braucht man sofort Hilfe, muss ins Krankenhaus, braucht einen Platz im Pflegeheim. Deshalb müsste man vorher flankierend unterstützen.
Und das geschieht nicht?
Natürlich gibt es viele Unterstützungsangebote, aber viele Angehörige nutzen diese erst spät oder gar nicht – z. B. auch aus Scham oder Verpflichtungsgefühl. Aber oft werden wir auch dem riesigen Beratungsbedarf nicht gut genug gerecht: Wo krieg ich welche Informationen? Worauf muss ich mich einstellen? Viele wissen z. B. nicht, welche Fragen ein Pflegestützpunkt besser beantworten kann als die Hausarztpraxis, wann die Pflegekasse eingeschaltet werden muss oder auch welche Entlastung die Nachbarschaft bieten könnte.
Braucht es unabhängige Kontrollen, um belastete und prekäre Pflegesituationen rechtzeitig zu erkennen und Vernachlässigung zu verhindern?
Was wir brauchen, ist erstens eine Sensibilisierungs-, eine Awareness-Funktion: jemanden, der Zugang zu häuslichen Pflegearrangements hat, Risikopotenziale einschätzen und Maßnahmen z. B. bei den Kranken- und Pflegekassen auslösen kann. Nach dem von Thomas Klie und mir entwickelten Konzept der subjektorientierten Qualitätssicherung (SQS) könnten perspektivisch etwa die Medizinischen Dienste eine solche Rolle übernehmen.
Außerdem braucht es in jedem Fall eine Koordination von Hilfen. Es muss vor Ort, im Stadtteil in der jeweiligen Stadt oder in der Gegend gebündelte Infos dazu geben, welche Akteure wofür zuständig sind.
Und drittens brauchen wir für die professionelle Pflege ein Leistungsspektrum, das all das zulässt. Denn bislang ist die Unterstützung von Angehörigen so nicht vorgesehen.