Über aktuelle und künftige Herausforderungen bei der Finanzierung der Pflegeversicherung sprach forum mit Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.
Die Koalition verspricht, die Beitragssätze stabil zu halten, sagt aber nicht wie. Stattdessen gibt es für die Pflegeversicherung erstmal Darlehen statt Lösungen. Reichen die wenigstens?
Wir sind nicht zufrieden mit der Art und Weise, in der sich die Politik aktuell um das Thema kümmert. Das betrifft auch die Höhe der Darlehen, aber wir haben darüber hinaus den grundsätzlichen Einwand, dass kurzfristige Kredite nicht die Probleme lösen, sie werden damit einfach nur in die Zukunft verschoben.
Reicht es?
Wir gehen davon aus, dass wir mit den 500 Mio. Euro für dieses Jahr in der Sozialen Pflegeversicherung ›save‹ sind. Es könnte wegen der starken Beitragserhöhung zum vergangenen Jahreswechsel sogar für ein kleines Plus zum Jahresende reichen. Die 1,5 Mrd. Euro für 2026 sind dagegen zu wenig. Auch mit diesen zusätzlichen Mitteln erwarten wir ein Defizit von über einer Milliarde Euro im nächsten Jahr. Deshalb rechnen wir unterjährig mit Liquiditätsengpässen und Finanzhilfeersuchen einzelner Pflegekassen, sollte der Gesetzgeber nicht rechtzeitig tätig werden.
Und sind sie nicht auch eine Verhöhnung angesichts der Milliardensummen an Beitragsgeldern, die die Politik in den vergangenen Jahren für Aufgaben des Bundes zweckentfremdet hat?
Ich habe Verständnis für die schwierige Haushaltslage des Bundes. Ich hätte mir dennoch gewünscht, dass die Politik unsere Appelle angesichts der kritischen Lage ernster nimmt und die Finanzierung ins Lot bringt. Es geht um die Erstattung von einmalig 5 Mrd. Euro für Coronahilfen des Bundes und um rund 5 Mrd. Euro, die wir jedes Jahr für die Rentenbeiträge pflegender Angehöriger ausgeben müssen, obwohl das mit der Pflegeversicherung nichts zu tun hat. Darlehen sind da schon eine seltsame Antwort – zumal gleichzeitig der Steuerzuschuss für den Ausgleich der versicherungsfremden Leistungen bis 2027 ausgesetzt wurde.
Kann man sagen, dass die Pflegeversicherung ohne diese ganzen Manöver kein Problem hätte?
Die Pflegeversicherung würde jedenfalls besser dastehen, wenn sie nicht jedes Jahr den Bundeshaushalt subventionieren müsste. Die Strategie, Rücklagen abzuschmelzen oder zu plündern, hat dazu geführt, dass jede Ausgabenspitze sofort zu massiven Liquiditätsproblemen führt.
Unionsfraktionschef Jens Spahn meinte kürzlich, die Pflegeversicherung brauche einen Zuschuss von 2 Mrd. Euro. Hat er das ernst gemeint?
Es würde zumindest sehr helfen, wenn wir schon mal 2 Mrd. Euro Abschlagszahlung auf unsere Forderungen gegen den Bund erhalten würden.
Wie optimistisch sind Sie, dass die doch sehr breit aufgestellten Beratungen bis zum Jahresende zu einem Reformkonzept führen, das anschließend auch umgesetzt werden kann?
Ich habe ein wenig die Sorge, dass es am Ende viele neue Erkenntnisse geben wird, die ohne Folgen bleiben. Alles hängt von dem Willen der Bundesregierung ab, vom Reden ins Handeln zu kommen.
Was muss aus Ihrer Sicht mindestens herauskommen?
Wir müssen beim Thema Finanzierung zu Ergebnissen kommen, die die Pflegeversicherung mindestens mittelfristig in ruhigeres Fahrwasser bringen. Wir brauchen auch eine Antwort auf die Frage der stark steigenden Zahl der Leistungsbeziehenden und der hohen Heimkosten. Und last but not least: Wer pflegt uns morgen? Wie sichern wir die Pflegeinfrastruktur in einer von Fachkräftemangel geprägten alternden Gesellschaft? Wie stärken wir insbesondere pflegende An- und Zugehörige, ohne die es auch in Zukunft nicht gehen wird?
Nun geht der starke Anstieg der Zahl der Leistungsempfänger bislang ja weniger auf die Demografie als die Pflegereform 2017 zurück …
In der Tat hat sich seither die Zahl verdoppelt. Das heißt aber nicht, dass die Reform, mit der aus drei Pflegestufen fünf Pflegegrade wurden, falsch war. Es war richtig, neben körperlichen auch seelische und geistige Handicaps bei der Prüfung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen. Aber es hat damals eine Reihe von Leistungsverbesserungen gegeben, bei denen es gerechtfertigt ist, zu überprüfen, ob die mit ihnen verbundenen Ziele erreicht wurden.
Es fällt auf, dass die Mehrzahl der Leistungsempfänger sich in den unteren Pflegegraden 1 und 2 befinden. Spricht das nicht für Mitnahmeeffekte?
Auch die Entwicklung beim Pflegegrad 1 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die meisten Pflegebedürftigen in den Pflegegraden 2 und 3 befinden. Ein Grund mehr, nicht einfach den Pflegegrad 1 abzuschaffen, sondern genau hinzusehen.
Im Pflegegrad 1 gibt es nur den Entlastungsbetrag von aktuell 135 Euro im Monat, der sich durch alle Pflegegrade durchzieht. Ist dieses Geld wirklich sinnvoll ausgegeben? Haben sich insbesondere die Erwartungen erfüllt, dass dadurch die Prävention gestärkt, also schwere Pflegebedürftigkeit hinausgeschoben wird?
Wir prüfen das gerade mit einer Studie. Dabei geht es neben der Praxis der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst auch um die Frage, ob hier vielleicht Fehlanreize gesetzt wurden. Sollte sich das am Ende herausstellen, hoffe ich, dass die Politik den Mut haben wird, dafür zu sorgen, dass das Geld für die unteren Pflegegrade in Zukunft besser ausgegeben wird. Beliebt würde man sich damit aber nicht machen.
Also brauchen wir doch eine Revision der Pflegereform von 2017?
Nach neun Jahren mal genauer hinzuschauen, ob die Reform ihr Ziel erreicht hat oder ob wir nachsteuern müssen, halte ich für angemessen.
Thema Eigenanteile, die inzwischen im Durchschnitt die 3000-Euro-Schwelle durchstoßen haben. Wie soll es da weitergehen?
Von den 3.000 Euro entfallen 500 Euro auf die Investitionskosten. Die sollten mit Einführung der Pflegereform eigentlich die Länder tragen als Ausgleich dafür, dass sie durch die Pflegeversicherung bei der Sozialhilfe entlastet werden. Ich frage: Warum tun sie das nicht?
Das hilft den Heimbewohnern erst mal nicht.
Das Problem wurde mit den 2022 eingeführten und zuletzt in 2024 erhöhten Zuschüssen von bis zu 75% deutlich entschärft. Dadurch sinkt die Belastung durch den pflegebedingten Eigenanteil ab dem vierten Jahr im Heim von 1500 auf unter 400 Euro. Das kostet die Pflegeversicherung über 7 Mrd. Euro im Jahr. Mehr geht meiner Meinung nach derzeit nicht.
Also keine Deckelung der Eigenanteile bei 1000 Euro, wie sie Sachsens Gesundheitsministerin gerade gefordert hat?
Das ist finanziell nicht darstellbar. Wenn Frau Köpping das will, dann muss sie auch sagen, wie sie das aus dem Landeshaushalt finanziert will. Die Pflegeversicherung kann es nicht.
Sind die hohen Eigenanteile nicht ein Stück weit hausgemacht, weil die Politik die Personalkosten in der Altenpflege per Gesetz nach oben getrieben und die Pflegekassen gezwungen hat, jede Tariferhöhung automatisch zu refinanzieren?
Tatsächlich war der Anstieg enorm, allein in den vergangenen beiden Jahren um 20% bei den Fach- und 33% bei den Hilfskräften. Pflege wird heute also sehr gut bezahlt. Den dahinterstehenden gesetzlichen Mechanismus, der dazu führt, dass alle Tarifsteigerungen 1:1 zu Lasten der Pflegeheimbewohnenden und der Pflegekassen durchgereicht werden, obwohl diese nicht am Verhandlungstisch sitzen, sollte man kritisch reflektieren. Damit stelle ich ausdrücklich nicht in Frage, dass gute Pflege auch gute Löhne verdient.
Braucht es am Ende nicht eine zusätzliche private Pflichtversicherung zur Absicherung der pflegebedingten Eigenanteile, wie sie ein Expertenrat um den Gesundheitsökonom Jürgen Wasem samt Einfrierung der Leistungskatalogs der sozialen Pflegeversicherung vorgeschlagen hat?
Wir müssen den Menschen deutlicher als bisher erklären, dass die Pflegeversicherung nur einen Teil des Risikos deckt und es sinnvoll ist, auch Eigenvorsorge zu betreiben. Das kann auch die selbst genutzte Immobilie, eine finanzielle Rücklage auf dem Konto oder eine private Zusatzversicherung sein.