Viele Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachkräfte nähern sich dem Rentenalter, während es gleichzeitig an Nachwuchs mangelt. Der Ruhestand der Älteren wird zur Herausforderung einer ganzen Branche.
Unter selbstständigen Ärztinnen und Ärzten ist heute bereits jeder Dritte 60 Jahre oder älter. In Apotheken hat mehr als ein Drittel das Alter von 55 Jahren überschritten, und in der Pflege müssen in den kommenden zehn Jahren knapp 22% der Pflegenden ersetzt werden.
Während für die ›Babyboomer‹ die letzte Phase ihres Berufslebens beginnt, nimmt der Generationswechsel im Gesundheitswesen deutlich Fahrt auf. »Bereits heute haben fast die Hälfte aller Ärztinnen und Ärzte das 50. Lebensjahr überschritten«, erklärt Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer. Ihr zufolge stehen sich in der Ärzteschaft zwei Gruppen gegenüber: Menschen unter 30 und jene zwischen 50 und 60 Jahren.
Nachwuchs fehlt
Zum einen steigt der Bedarf an Gesundheitsversorgung, zum anderen steht weniger Arbeitszeit von Ärzten und Ärztinnen zur Verfügung. »In den nächsten Jahren muss eine große Zahl von ihnen ersetzt oder motiviert werden, über die Ruhestandsgrenze hinaus zu arbeiten«, erklärt Lundershausen. Denn es fehle der Nachwuchs. »Die Anzahl der Studienplätze steigt nur langsam und liegt nach wie vor unter der Zahl der späten 1980er Jahre. Deshalb darf bezweifelt werden, dass die Ausbildungskapazitäten in Deutschland dieser Herausforderung gewachsen sind.«
Headhunter versuchen händeringend, Mitarbeitende für Kliniken auf dem Land zu finden
Auch viele Apotheken schließen aus Altersgründen, etwa ein Zehntel bleibt ohne Nachfolge. Laut Bundesapothekerkammer sind mehr als 25% der Apothekerinnen und Apotheker zwischen 51 und 60 Jahren alt, rund 7% zwischen 61 und 65, und 6,5% sind sogar 66 Jahre oder älter. Nicht nur die hausärztliche Versorgung auf dem Land steht vor personellen Problemen, auch der stationäre Sektor umwirbt vielerorts den Nachwuchs. »Headhunter versuchen händeringend, Mitarbeitende für Kliniken auf dem Land zu finden«, sagt Dr. Charlotte Kaiser. Die Oberärztin, die am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn (Haus St. Elisabeth) in der Gynäkologie und Geburtshilfe arbeitet, hat die Erfahrung gemacht, dass junge Ärzte und Ärztinnen heute mehr Wert auf Freizeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf legen: »Die neue Arbeitsmentalität sowie der allgemeine Personalmangel sorgen für einen Paradigmenwechsel«, sagt sie. »Viele wollen nicht mehr Vollzeit arbeiten und vertreten ihre Bedürfnisse selbstbewusst. Trotzdem sind die Arbeitszeiten deutlich länger und unattraktiver als in anderen Berufen.«
Teilzeitquote steigt
Zunehmend mehr Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Teilzeit, die Quote liegt bei etwa 20,6%. Für Ellen Lundershausen ist das letzten Endes der Arbeitsverdichtung in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung zuzuschreiben. Sie befürchtet: »Es werden mehr Ärztinnen und Ärzte benötigt, um den Wegfall einer Arztstelle aus Altersgründen auszugleichen. Wir rechnen mit etwa anderthalb Personen auf einer Vollzeitstelle.«
Derweil sucht die Branche nach Lösungen. Um den Arztberuf attraktiver zu machen und Nachwuchs zu binden, sei es wichtig, die Aufgaben anders zu verteilen. »Etliche medizinische und bürokratische Aufgaben könnten beispielsweise an gut ausgebildete medizinische Fach- oder Bürokräfte abgegeben werden«, so Charlotte Kaiser. Auf diese Weise würden Ärztinnen und Ärzte entlastet.
Der Schlüssel, um auf individuelle Lebenssituationen auch der jüngeren Mitarbeitenden zu reagieren, liege vor allem in flexiblen Arbeitszeitmodellen und Dienstplänen, in guter Teamführung und in offener Kommunikationskultur. Für mehr Zufriedenheit sorgen auch Möglichkeiten von Freizeitausgleich, mehr gesellschaftliche Anerkennung und dort, wo möglich, ein höherer Verdienst. Auch brauche es Geld, um Strukturen zu stärken. Außerdem könne die Branche auf Etabliertes setzen. »Mentoring-Konzepte, bei denen Expertise weitergegeben wird, sind in der Medizin gelernt«, sagt Kaiser.