Armer Tropf

Von Jens Lubbadeh Lesezeit 2 Minuten
Symbolgrafik: Tropf mit Obst

Vitamine direkt ins Blut: Sogenannte Drip-Bars versprechen den schnellen Boost für Gesundheit und Äußeres. Was ist dran am neuen Hype?

Wir leben in einer Ära, in der der eigene Körper zum ultimativen Optimierungsprojekt geworden ist. Manche Menschen zählen ihre täglichen Schritte so akribisch wie andere ihre Schulden, viele greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln, als gäbe es morgen keine frischen Äpfel mehr. Vitamine, Mineralien, freie Radikale. Seit Jahren gehen die überwiegend nutzlosen Mittelchen über die Theken von Apotheken oder Drogerien. Ein Milliardengeschäft.

Und seit neuestem kann man sich die vermeintlichen ›Glückseligmacher‹ sogar direkt in die Vene tröpfeln lassen. Willkommen in der Welt der Dripbars, in der Vitamininfusionen als das neue Zaubermittel für Gesundheit und Wohlbefinden gefeiert werden. Schließlich sind wir doch alle viel zu beschäftigt, um noch Karotten zu schälen. In Metropolen wie Hamburg, Berlin und München schießen sie aus dem Boden, als hätten sie selbst eine WachstumsInfusion bekommen.

Drips von 99 Euro bis 399 Euro – für jeden was dabei?

Betreten wir also eine dieser ›IV Therapy Bars‹, etwa die der Firma ›DripDrip‹, und sehen uns das Schauspiel an. Hier, in einem Ambiente irgendwo zwischen CocktailBar, YogaStudio und HochglanzArztpraxis, sitzen junge, gesunde Menschen und lassen sich von nichtmedizinischem Personal Nadeln in die Venen stechen.

Auf der Karte stehen verlockende Angebote wie der ›Immun-Drip‹ für 159 Euro, der angeblich »das Immunsystem gezielt unterstützen und den Körper von innen gegen äußere Einflüsse schützen« soll. Der ›Athlete-Drip‹ für 99 Euro wiederum soll den »Sauerstofftransport und die Fließeigenschaften des Blutes verbessern«. Natürlich darf der ›Hangover-Drip‹ (ebenfalls 99 Euro) nicht fehlen, für all jene, die am Wochenende zu viel gefeiert haben und am Montagmorgen frisch und erholt im Büro sitzen wollen. Und dann ist da noch der heilige Gral der Dripbars: der NAD+Drip für stolze 399 Euro, der »die Mitochondrien in Schwung bringt«, damit sie Giftstoffe abbauen und DNASchäden reparieren. Drip dich fit.

Aber Moment mal, wenn das alles so toll ist – warum geht man dann überhaupt noch zum Arzt? Dripdrip-Gründer Jürgen Mehrtens versichert: »Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass diese Effekte mit Sicherheit eintreten.« Nein, mehr noch: »Wir verstehen uns als Wellnessangebot und wollen nicht suggerieren, hier würden ernsthafte Erkrankungen behandelt oder gelindert.« Also, alles nur ein Missverständnis? Trotzdem nennt er seine Einrichtung ›IV Therapy Bar‹.

Madonna, Brad Pitt und Gwyneth Paltrow drippen schon seit Jahren

Am Ende bleibt der PlaceboEffekt der heimliche Star. Viele ›Dripper‹ berichten begeistert, wie viel fitter und energiegeladener sie sich nach einer Vitamininfusion fühlen. »Drip it like it’s hot«, steht auf den Infusionsbeuteln, und genau so fühlen sich die Kunden auch. Wissenschaftliche Evidenz? Fehlt. Die Vitamine rauschen durch die Venen – nur um wenig später in der Toilette zu landen.

Die Drips sind ein Phänomen, das uns aus den USA erreicht, wo Prominente wie Madonna, Brad Pitt oder Gwyneth Paltrow schon lange auf Infusionen schwören. Das Tragische: Selbst Ärztinnen und Ärzte, die es eigentlich besser wissen sollten, springen mitunter auf den Zug auf. Immer häufiger bieten sie Vitamininfusionen in ihren Praxen als IGeL-Leistung an. Das verleiht der ganzen Sache dann einen medizinischen Anstrich. Und schon wird aus der WellnessFantasie fälschlich eine scheinbar ernstzunehmende Therapie.

Immerhin: In der Arztpraxis legt wenigstens geschultes Personal die Infusion an. In den Dripbars übernehmen das oft Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, die zwar nach deutschem Recht dazu befugt sind, aber in ihrer Ausbildung möglicherweise nie eine einzige Infusion gelegt haben. Drip Drip Hurra? Wohl eher: armer Tropf.

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