Eine neue Richtlinie der Europäischen Union und das Gebäudeenergiegesetz zwingen Millionen private und gewerbliche Immobilienbesitzer in den nächsten Jahren zu Modernisierungen und energetischen Sanierungen. In Altbauten können dabei versteckte Gesundheitsgefahren lauern.
Das Klima in unserem Lebensraum zu erhalten, ist wichtig für die Gesundheit. Gebäude haben dabei eine Schlüsselrolle. Mit dem Verbrennen von Holz, Kohle oder Gas verursachen sie allein in Deutschland rund 40% des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid. Alle der rund 19 Mio. Wohn- und ca. 2 Mio. Nichtwohngebäude sollen darum bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden. Für dieses Ziel werden Vorgaben gemacht, Emissionen und Energieverbrauch durch weniger Abwärme und den Einsatz von erneuerbaren Energien zu verringern. Nach Plänen der EU sollen Wohnhäuser bis zum Jahr 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse ›E‹ und bis 2033 mindestens Energieeffizienzklasse ›D‹ aufweisen.
Gesundheitsschädliche Stoffe in vielen Altbauten
Hierzulande wurden zahlreiche Häuser vor 1990 und mehrheitlich zwischen 1950 und 1979 erbaut. Den neuen energetischen Anforderungen entsprechen sie kaum. Wechselt der Eigentümer oder stehen Baumaßnahmen an, die über 10% eines Bauteils wie Außenwand, Fenster, Türen oder Dach verändern, greifen Dämmvorschriften oder Regelungen für Heizungsanlagen. Bei Arbeiten an Dach, Fassade oder Rohrleitungen können jedoch ungeahnte Gesundheitsgefahren auftauchen. »Wenn man ein altes Haus kauft, macht man sich keine Gedanken über die Gefahren von Baustoffen«, sagt Rolf W.* »Da erliegt man einfach dem Altbaucharme.«
In Häusern, die zwischen 1950 und 1993 gebaut oder renoviert wurden, wurden laut Umweltbundesamt vielen Bauprodukten Asbestfasern beigemischt. Asbest ist ein Sammelbegriff für natürlich vorkommende, faserartige silikatische Minerale, die sich gut mit anderen Materialien verbinden ließen. Die Produkte profitierten von den Asbest-Eigenschaften der Elastizität, Feuerfestigkeit und Beständigkeit. Über 3000 verschiedene Produkte wie Dacheindeckungen, Fassadenverkleidungen, Putze, Abstandshalter, Dichtungen, Fliesenkleber, Spachtelmassen oder Nachtspeicheröfen enthielten Asbest, bevor Verwendung und Herstellung wegen der nachweislich krebserzeugenden Asbestfasern 1993 in Deutschland verboten wurden. »Natürlich hatte ich davon schon gehört, aber nur bei den Eternit-Welldachplatten. Wir wussten ja gar nicht, wo das noch überall drin ist«, sagt Rolf W.
Unbemerkt bis in die unteren Atemwege
Erkennen Heim- oder Handwerker asbesthaltige Produkte nicht, können bei Sanierungs-, Umbau- oder Instandhaltungsarbeiten durch Schneiden, Zerschlagen oder andere Zerstörung die mikroskopisch kleinen Fasern freigesetzt werden. Beim Einatmen geraten diese bis zur Innenwand der Lunge, wo sie im Gewebe hängenbleiben und immer wieder zu Verletzungen führen. In der Folge vernarbt und verdickt das Lungenfell und nach Jahren können unheilbare, tödliche Krankheiten wie Asbestose, Lungen- oder Kehlkopfkrebs, Mesotheliom entstehen. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft liegt die Zeitspanne zwischen dem Einatmen und dem Auftreten einer Erkrankung zwischen 10 und 60 Jahre. »Vor fünf Jahren wurde ich immer kurzatmiger und fühlte mich bei Anstrengung immer schnell erschöpft. Zum Arzt ging ich dann aber erst wegen eines langanhaltenden Hustens«, beschreibt Rolf W. Sein Arzt machte unter anderem eine Computertomografie (CT) des Brustkorbes, auf der er die typische Lungenveränderung erkannte. »Die Diagnose Asbestose hat mich erstmal sehr aus der Bahn geworfen, denn man hat keine Aussicht auf Heilung.«
Die Notwendigkeit, asbesthaltige Produkte oder Gebäudeteile zu entfernen, ergebe sich aus der Bewertung des baulichen und technischen Zustands des betreffenden Produkts, so das Umweltbundesamt. Sind asbesthaltige Bodenbeläge, Fassaden- oder Dachplatten spröde und brüchig, seien diese zu entfernen. Doch selbst von intakten Asbestprodukten, die nicht automatisch eine Gesundheitsgefahr darstellen würden, könne bei Baumaßnahmen eine Gefahr ausgehen, wenn diese unwissentlich beschädigt werden.
Fachliche Expertise nutzen
Die Asbestquellen zu erkennen, ist der erste Schritt zum Gesundheitsschutz, denn noch immer könnten mehrere Millionen Gebäude, die vor dem Asbest-Verbot erbaut oder saniert wurden, asbesthaltige Materialien aufweisen, vermutet das Umweltbundesamt. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) schätzt, dass allein 9,4 Millionen Wohnhäuser betroffen sind, die zwischen 1950 und 1989 erbaut wurden.
Neben dem Baujahr kann eine mattgraue, nie reinweiße Baustofffarbe ein Indiz für ein asbesthaltiges Produkt sein.
Hilfreiche Hinweise finden sich online in zahlreichen Informationsportalen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen empfiehlt zudem die ›Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden‹ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).
Für Laien bleibt das Erkennen dennoch schwierig und sollte lieber durch fachliche Expertise vor Ort sichergestellt werden – umso mehr, als neben Asbest andere gesundheitsgefährdende Stoffe in einem Haus benutzt worden sein können. Hierzu zählen alte Dämmstoffe aus Mineralwolle, einige Holzschutzmittel, polychlorierte Biphenyle (PCB) in dauerelastischen Fugenmassen oder Flammschutzmitteln, aber auch polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) in teerstämmigen Produkten wie Klebstoff, Dachbahnen oder Abdichtungen von Kelleraußenwänden.
»Mit unserer Renovierung in Eigenregie waren wir sehr unvorsichtig«, erinnert sich Rolf W. »Nur schnell fertig werden und einziehen, war das Motto. Informationsmöglichkeiten wie heute hatten wir direkt nach der Wende nicht. Ich war schon froh über meine Freunde vom Bau, die mir in ihrer Freizeit geholfen haben.«
Besteht ein konkreter Asbestverdacht, müssen Fachleute eingebunden werden, die eine Befähigung über die Technischen Regeln bei Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten (TRGS 519) besitzen, um Asbest fachgerecht auszubauen und zu entsorgen. Mit der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) wurde der Gesundheitsschutz bei Asbestarbeiten im August 2023 weiter gestärkt. So gelten ein risikobezogenes, verpflichtendes Schutzmaßnahmenkonzept sowie genaue Regelungen für Asbest-Messungen oder zum Überdecken von asbesthaltigen Baustoffen.
Fachpersonal ebenfalls gefährdet
Wie wichtig Arbeitsschutz im Zusammenhang mit Asbest ist, weiß die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU): Mit 1291 gemeldeten Verdachtsfällen gehörte Lungenkrebs durch Asbest im Jahr 2022 zu den häufigsten Berufskrankheiten. Außerdem ist Asbest die häufigste Todesursache bei Berufskrankheiten. In den vergangenen zehn Jahren sind 3376 Versicherte der BG BAU infolge einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben, im Jahr 2022 allein 320. Die Neuerkrankungen nahmen 2022 ebenfalls zu: Insgesamt 2414 neue Verdachtsfälle asbestbedingter Berufserkrankungen wurden gemeldet. Mehr als die Hälfte davon (1291) waren Verdachtsanzeigen auf Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs durch Asbest, gefolgt von Asbestose (716).
»Asbest ist ein nach wie vor aktuelles Problem, denn wir müssen bei Bestandsbauten immer davon ausgehen, dass Asbest enthalten sein kann.«
Mathias Neuser, Vorstandsvorsitzender der BG BAU, betont angesichts der weiteren Zunahme asbestbedingter Erkrankungen: »Deshalb müssen wir hierauf einen noch stärkeren Fokus bei unserer Präventionsarbeit richten, um zukünftigen Erkrankungen vorzubeugen.« Auch Norbert Kluger, Leiter der Abteilung Stoffliche Gefährdungen der BG BAU, weiß: »Asbest ist ein nach wie vor aktuelles Problem, denn wir müssen bei Bestandsbauten immer davon ausgehen, dass Asbest enthalten sein kann.«
»Hätte ich damals um die Gefahr gewusst, wäre ich bei der Sanierung nicht so leichtsinnig vorgegangen«, sagt Rolf W., dessen Pflegeantrag inzwischen durch den Medizinischen Dienst bearbeitet wird.
* Name geändert