Braucht Deutschland eine Zuckersteuer?

Von Dorothee Buschhaus Lesezeit 5 Minuten
Symbolbild: Softdrinks in bunten Dosen im Comic-Stil

Müsli und Milchshakes, Brot und Babynahrung, Salatsauce und Softdrinks – viele Lebensmittel und Getränke enthalten mehr Zucker, als es der Gesundheit guttut. Fachleute warnen vor hohen Gesundheitsrisiken und krankheitsbedingten Kosten. Über Hintergründe des Zuckerkonsums und Möglichkeiten der Zuckerreduktion haben wir mit Dr. Sarah Forberger, leitende Forscherin im Bereich Implementation und Health Policy für Gesunde Lebensstile am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) gesprochen.

Zu viel Zucker macht krank, warnen Fachleute. Welche Erkrankungen drohen?

Zucker wird u. a. mit Diabetes, Übergewicht und Adipositas in Verbindung gebracht. Diese Risikofaktoren gelten als wesentliche Ursachen für Herz-Kreis­lauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsarten. Außerdem begünstigt ein übermäßiger Verzehr von Zucker die Entstehung von Karies.

Wie viel Zucker konsumieren die Menschen hierzulande?

Der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker lag 2023/2024 hierzulande bei 30,4 Kilogramm. Laut einer Studie von Foodwatch aus 2023 hat Deutschland im Vergleich zu anderen großen westeuropäischen Ländern den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker über Softdrinks. 2023 lag dieser bei 23 Gramm pro Tag bzw. etwa 8,5 Kilogramm pro Jahr. Wir konsumieren also mehr Zucker durch Getränke als durch Süßwaren.

Ist Zucker per se schädlich oder gibt es auch gesunden Zucker?

Ernährungswissenschaftler bewerten Zucker (es gibt über 70 Bezeichnungen für Zucker in Lebensmitteln) meist negativ als ›leeren Kalorienträger‹. Ob Haushaltszucker, Rohrohrzucker oder alternativ Honig, Agavendicksaft oder Dattelsirup – wer viel davon konsumiert, beeinflusst den Blutzucker- und Insulinspiegel und belastet seinen Körper. Die WHO empfiehlt, täglich maximal 10%, besser nur 5% der gesamten Energiezufuhr als frei verfügbaren Zucker zu sich zu nehmen. ›Freier Zucker‹ meint dabei sämtlichen Zucker, der Speisen und Getränken zugesetzt ist, also auch Zucker z. B. in Honig, Fruchtsäften oder Fruchtsaftkonzentraten.

Viele Menschen wissen um die Gesundheitsrisiken durch hohen Zuckerkonsum, sind aber hilflos gegenüber der Flut an Informationen und Werbung.

Brauchen wir mehr Aufklärung?

Viele Menschen wissen um die Gesundheitsrisiken durch hohen Zuckerkonsum, sind aber hilflos gegenüber der Flut an Informationen und Werbung. Das Bedürfnis nach mehr Aufklärung insbesondere über versteckte Zucker, der in vielen Produkten lauert, bei denen man es nicht erwartet, ist groß. Fest steht: Es reicht nicht aus, jemandem zu sagen, er solle weniger Zucker konsumieren und gesünder leben, wenn die Strukturen unserer Welt es fast unmöglich machen, Zucker zu vermeiden. Das beginnt bereits im Kleinkindalter, wenn Kinder etwa durch Fernsehwerbung, später Schulmarketing, Produktplatzierungen und gezielte PR-Aktionen gezielt beeinflusst werden.

Gibt es ein Beispiel?

Die WHO hat für Europa 2022 ein Nutrient and Promotion Profile Model (NPPM) veröffentlicht, das u. a. bestimmte Richtwerte für kommerziell hergestellte Kleinkinder-Nahrung vorschlägt. Eine australische Studie zeigt nun aber, dass 78% der Produkte die ernährungsbezogenen Anforderungen für Kinder zwischen sechs und 36 Monaten nicht erfüllen. Laut NPPM enthält jede Verpackung mindestens ein falsches Produktversprechen. Fast die Hälfte der Produkte wirbt mit Formulierungen wie ›kein zugesetztes Salz oder Zucker‹. Viele Eltern empfinden solche Kennzeichnungen als irreführend und befürchten, dass ihre Kinder so unwissentlich und zu oft mit ungesunden süßen Lebensmitteln in Kontakt kommen. Produkte, die mit Bezeichnungen wie ›biologisch‹ oder ›zuckerfrei‹ beworben werden, suggerieren, dass das Produkt gesünder ist, als es die Nährwertangaben vermuten lassen. Wir sehen, für den Einzelnen ist es schwer, bei allen Informationen das ›richtige‹ Produkt auszuwählen, da viele Informationen versteckt, unzureichend deklariert und so geframt werden, dass man sie gesünder wahrnimmt, als sie sind.

Dr. Sarah Forberger
© Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS)

Zuckerkonsum schadet der Gesundheit und verursacht außerdem hohe Kosten. In welcher Größenordnung?

Schwer zu sagen: Im Zusammenhang mit Adipositas z. B. werden die direkten Kosten in Deutschland auf jährlich 29,4 Mrd. Euro geschätzt. Zusätzlich entstehen indirekte Kosten, die sich u. a. aus verminderter Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz, häufigeren Krankmeldungen und vorzeitigem Renteneintritt ergeben – ungefähr 33,7 Mrd. Euro im Jahr. Mit Blick auf die steigenden Adipositaszahlen, aber auch auf die alternde Bevölkerung ist auf jeden Fall zu erwarten, dass die Gesundheitskosten generell weiter ansteigen werden.

Ist es folglich eine gesundheitspolitische Aufgabe, den Zuckerkonsum einzudämmen?

Ja, unbedingt: Um die Gesundheitsrisiken und immensen Folgekosten des hohen Zuckerkonsums zu reduzieren, müssen wir verstärkt auf staatliche Maßnahmen setzten, statt ausschließlich auf individuelle Verantwortlichkeit zu bauen. Das können Maßnahmen sein wie eine Besteuerung z. B. auf Softdrinks, konsequente Werbeverbote, Verbot irreführender Produktbotschaften, verständliche Kennzeichnung der Produktinhalte, gesunde Gemeinschaftsverpflegung, z. B. in Mensen, Kantinen, Krankenhäusern, Pflegeheimen, in Kitas und Schulen, und mehr Wissensvermittlung in allen Bereichen. Es geht dabei mehr um eine in sich greifende Strategie, ein Maßnahmenpaket, einen ganzheitlichen Ansatz und weniger um eine Sichtweise, die ausschließlich auf Zuckerkonsum als alleinstehenden Faktor fokussiert.

Um die Gesundheitsrisiken und immensen Folgekosten des hohen Zuckerkonsums zu reduzieren, müssen wir verstärkt auf staatliche Maßnahmen setzten.

In anderen Ländern gibt es längst eine Zuckersteuer. In Großbritannien ist der durchschnittliche Zuckergehalt in Getränken nach Einführung einer entsprechenden Steuer um 35% gesunken. Wäre das auch für uns ein Modell?

Die Einführung von Steuern auf Softdrinks soll ja vor allem dazu führen, die Zucker- und Kalorienaufnahme zu reduzieren und die Ernährung damit zu verbessern. Was passiert tatsächlich? Es gibt unterschiedliche Effekte: Die Industrie ändert womöglich die Rezeptur, reduziert den Zuckergehalt oder – so geschehen bei jenem bekannten braunen kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränk – der Hersteller bleibt bei der Rezeptur, verkleinert aber die Flaschengröße und hebt den Preis an, um die Steuer zu kompensieren. Studien zeigen: Der Verkauf von besteuerten Getränken ist in den betroffenen Ländern um 15% zurückgegangen. Ausnahmen sind z. B. Fruchtsäfte, Trinkjoghurts und Smoothies, die von der Besteuerung ausgenommen sind. Studien aus Mexiko, den USA und Großbritannien belegen, dass die Verbraucher weniger Kalorien aus gesüßten Getränken aufgenommen haben und dass die Getränke weniger Zucker enthielten. Eine Evaluation der britischen Zuckersteuer hat nachgewiesen, dass es nach Einführung der Steuer im Durchschnitt zu einer Reduktion von 6.600 Kalorien pro Jahr pro britischen Einwohner kam. In 80% der Fälle hatte der Hersteller die Rezeptur verändert. Angesichts dieser Ergebnisse wäre eine Besteuerung von zuckergesüßten Getränken sicher auch ein Modell für Deutschland, das jedoch immer wieder kontrovers diskutiert wird. Der Steuersatz müsse regelmäßigen Anpassungen unterliegen, mindestens entsprechend der Inflation, um einen Verlust der Steuerwirkung zu vermeiden, lautet eine Forderung. Und die Zucker-Industrie befürchtet u. a., dass durch die Erhöhung von Verbrauchssteuern auf ungesunde Produkte die Beschäftigung und/oder die Volkswirtschaft insgesamt beeinträchtigt würden – eine Argumentation, die durch Studien wiederholt widerlegt wurde.

Wäre es nicht ein Leichtes, bei zuckergesüßten Getränken einfach nur die Rezeptur zu verändern und andere Süßstoffe einzusetzen?

Ganz so einfach ist es nicht: Wird die Rezeptur verändert und werden nicht-zuckerhaltige Süßstoffe (NSS) eingesetzt, ist Vorsicht geboten. Denn Studien zeigen, dass auch der häufige Konsum von ›alternativen Süßstoffen‹ – gemeint sind synthetische als auch natürliche Substanzen wie Aspartam, Sucralose, Steviolglykoside, Acesulfam K, Cyclamat oder Saccharin – mit einem erhöhten Risiko für vaskuläre Ereignisse und für Krebserkrankungen in Verbindung steht. Die WHO hat zudem festgestellt, dass NSS nicht zur Gewichtskontrolle beitragen und potenziell schädlich sein könnten. Länder sollten in Betracht ziehen, Regulationen und Besteuerungen so zu gestalten, dass Produkte mit NSS ebenfalls eingeschlossen werden. Statt auf andere Süßstoffe auszuweichen, sollte das Süßen lieber generell reduziert werden.

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