Mehr pflegebedürftige Menschen, weniger Fachkräfte, mehr Pflegebegutachtungen, weniger Ressourcen – die Pflege steht vor großen Herausforderungen. Inwieweit können Digitalisierung und Vernetzung zu einer zukunftsfesten Pflege beitragen? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Expertenforum Pflege des Medizinischen Dienstes Bund Ende November in Berlin.
Alle Zeichen stehen derzeit »irgendwie auf Stopp, aber gleichzeitig auch auf Start, weil die drängenden Themen neu diskutiert werden müssen«, beschreibt Carola Engler, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, die Situation nach dem Ampel-Aus und vor der Bundestagswahl. Gerade bei der Pflege könne man sich einen »wieder Monate andauernden neuen Diskussionsprozess aber nicht leisten«. Die steigende Zahl der Begutachtungsaufträge zeige, dass es notwendig sei, Prozesse anzupassen und neue digitale Wege zu erproben.
Auf dem Weg
Mit dem Pflegekompetenzgesetz hätte es gelingen können, die Pflegebegutachtung noch »ein Stück weiter ins Jetzt zu heben und auch die Gutachterinnen und Gutachter zu stärken«, sagte Engler. Auch wenn das Gesetz nicht wie geplant kommt – die Medizinischen Dienste haben sich längst auf den Weg gemacht, digitale Technologien für die Weiterentwicklung ihrer Aufgaben zu nutzen. Mit Unterstützung wissenschaftlicher Evaluationen und Modellprojekten untersuchen sie, wie die Pflegebegutachtung modernisiert und die Kompetenzen der Gutachterinnen und Gutachter hin zu einem individuellen Case Management für die Pflegebedürftigen weiterentwickelt werden können: »Ziel muss eine moderne Begutachtung sein, die sich nach den jeweiligen individuellen Erfordernissen und Lebenswelten der Versicherten richtet«, so Engler.
Die Medizinischen Dienste loten dazu die Potenziale der digitalen Kommunikation, der effizienten Vernetzung aller am Pflegeprozess beteiligten Akteure und sowie die Möglichkeiten der KI aus, wie Christian Kolb, KI-Stratege beim Medizinischen Dienst Bayern, und Dr. Martin Rieger, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe, veranschaulichten.
Der Zugriff der Gutachterinnen und Gutachter auf begutachtungsrelevante Unterlagen in der elektronischen Patientenakte (ePA) könnte die Pflegebegutachtung künftig beschleunigen. »Bislang müssen oftmals Unterlagen bei den Leistungserbringenden angefordert werden, was die Begutachtung und den Bezug von Leistungen verzögert«, unterstrich Daniel Storkebaum vom Medizinischen Dienst Bund. Dies gelte es zu überwinden.
Grenzen überwinden
Aktuell stößt die Digitalisierung in der Pflege noch an Grenzen: »Bislang ist der Verbreitungsgrad digitaler Technologien nicht zuletzt in der professionellen Pflege noch sehr gering ausgeprägt«, sagt Dr. Cornelia Bogen von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Es gibt Prototypen, die noch nicht auf dem Markt sind, Akteure, die sie einsetzen sollen, aber zu wenig darüber wissen und es gibt zu wenig Studien zu den Effekten des Einsatzes neuer Technologien. Viele ältere Menschen müssten besser in die Digitalisierung eingebunden werden. Sie haben häufig keinen Zugang zum Internet und zu wenig digitale Kompetenzen.
Dass die Potenziale der Digitalisierung bisher nicht annähernd ausgeschöpft sind, sieht auch Dr. Antje Schwinger, Leiterin der Abteilung Pflege beim GKV-Spitzenverband. Das neue Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege (beim GKV-SV) stellt Informationen bereit, die Pflegeeinrichtungen, Pflegekräfte und andere Leistungserbringende, aber auch Pflegekassen, Pflegeberaterinnen und -berater sowie Pflegeverbände bei der Bewertung, Auswahl, Einführung und Nutzung digitaler Technologien in der Pflege unterstützen.
»Digitalisierung ist kein Selbstzweck in der Pflege – sie ist ein Mittel zum Zweck«, betont Martin Schölkopf, Leiter der Abteilung Pflegeversicherung und -stärkung im Bundesgesundheitsministerium: »Zum Zweck, die Versorgung sicherzustellen, sie zu verbessern, denjenigen, die die Versorgung leisten, also auch Angehörigen, Unterstützung zu gewähren und den Pflegebedürftigen selbst zu helfen«. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen und gestalten, damit Maßnahmen der Digitalisierung möglich werden und Einrichtungen, Pflegekräfte, pflegende Angehörige und Pflegebedürftige von Digitalisierung profitieren.