Jahrelang ging die Zahl der jugendlichen Raucher zurück. Elektronische Zigaretten, sogenannte Vapes, drohen diesen Trend jetzt umzukehren: Preis, Aufmachung und süße Geschmacksrichtungen machen die Dampferzeuger attraktiv für junge Menschen – und sind dabei nicht minder gefährlich.
Nicht nur in den 1960er Jahren war Rauchen ein gesellschaftlich akzeptierter Teil des Alltagslebens. Es wurde geraucht, wo immer es gefiel: im Büro, in Restaurants, im Auto, im heimischen Wohnzimmer. Nur vereinzelt wurden Stimmen laut, die sich fragten, wie gesund das eigentlich sein kann. So zum Beispiel die des US-Amerikaners Herbert A. Gilbert, der sich 1963 eine elektrische Zigarette patentieren lässt. Diese war rauch- und tabakfrei, stattdessen sollte sich der Nutzer an feuchter warmer Luft, die aromatisiert worden war, gütlich tun. Eine Idee, die keinen Anklang fand. Die E-Zigarette ging nie in Produktion. Es dauerte lange, bis der chinesische Pharmazeut Lik Hon Anfang der 2000er Jahre den Einfall hatte, das Nikotin in einer Flüssigkeit zu lösen, so dass es nur noch erwärmt und nicht mehr verbrannt werden muss. Der Siegeszug der modernen E-Zigarette begann. Die sieht fast stylisch aus: Kaum größer als ein Feuerzeug, ähnelt sie einem knallbunten und gerne auch schön glitzernden Stift, soll sich optisch gut in der Hand machen und kommt in vielversprechenden süßen Geschmacksrichtungen wie Cherry-Cola, Passionsfrucht oder Himbeere daher.
Attraktiv für Einsteiger
Populär ist vor allem die Einweg-E-Zigarette. Dabei treibt ein vorgeladener, nicht wiederaufladbarer Akku eine Spule an, die die Flüssigkeit, das sogenannte E-Liquid, verdampft. Durch das Ziehen am Mundstück entsteht ein Unterdruck, der den Akku automatisch aktiviert, man muss die E-Zigarette also nicht einmal anschalten. Sind die 500 möglichen Züge aufgebraucht, wird die E-Zigarette weggeworfen – eine hohe Umweltbelastung. Die Einwegvariante ist günstiger und einfacher zu handhaben als ein E-Zigaretten-Kit, was sie attraktiv für Einsteiger und Menschen macht, die »nur mal probieren« wollen.
Begeisterte Anhänger findet das elektrische Rauchen vor allem bei jungen Menschen. Suchtforscher am Institut für Allgemeinmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf befragen für die Studie Debra (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten) seit 2019 zweimonatlich einen repräsentativen Teil der Bevölkerung persönlich zum Konsum von Tabak und alternativen Nikotinabgabesystemen. Laut ihrer jüngsten Veröffentlichung Ende 2022 hat sich der Anteil der 14- bis 17-Jährigen, die E-Zigaretten nutzen, innerhalb eines Jahres von 0,5 auf 2,5% erhöht. Bei den 18- bis 24-Jährigen von 2,4 auf 4%. Gleichzeitig rauchen deutlich mehr 14- bis 18-Jährige: Der Anteil stieg von 8,7 auf 15,9%.
Schmeckt nach Apfel oder Cappuccino
Die Hersteller von E-Zigaretten werben damit, dass der Dampf einer E-Zigarette deutlich weniger gesundheitsschädliche Substanzen enthalte als eine klassische Zigarette. Tatsächlich geht auch die Wissenschaft aufgrund der bisherigen Datenlage davon aus, dass das gesundheitliche Risiko geringer ist. Das große Aber: Es fehlen Langzeitdaten. Und: ›Geringer‹ heißt nicht, dass man gefahrlos zur E-Zigarette greifen kann. Daniel Kotz, einer der Leiter der Debra-Studie, betonte deshalb beim Forum Verbraucherschutz ›Chancen und Risiken der E-Zigarette‹ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR): »Die E-Zigarette gehört nicht in die Hände von Jugendlichen und auch nicht in die von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern.« Allenfalls könne sie als Unterstützung bei einem Rauchstopp genutzt werden, falls evidenzbasierte Entwöhnungsmaßnahmen erschöpft sind oder von der Raucherin, dem Raucher nicht gewünscht werden. »Die Regenbogenfarben und die attraktiven Geschmacksrichtungen sowie die viel zu geringe Regulation von staatlicher Seite sorgen dafür, dass wir hier eine sehr niederschwellige Einstiegsdroge haben«, sagt Uta Engler. Die zertifizierte Tabakentwöhnungstherapeutin vom Präventionsteam am Tumorzentrum CCCF der Universitätsklinik Freiburg hat beobachtet, dass die E-Zigarette nicht nur Jugendliche lockt, sondern auch Erwachsene, die eigentlich nicht rauchen wollen. »Da wird davon ausgegangen, dass das Vapen nicht so schädlich ist wie eine Zigarette, man greift gerne mal zum Ausprobieren zu einer E-Zigarette, die nach Apfel oder Cappuccino schmeckt, und im Nu ist man abhängig«, sagt Engler. Der Nikotingehalt in E-Zigaretten sei mitunter sogar höher als in Zigaretten, eine Einweg-E-Zigarette mit etwa 500 bis 600 Zügen entspricht ein bis zwei Schachteln Zigaretten.
Versuch am lebendigen Menschen
Ein großes Problem sieht Engler zudem in der überaus leichten Handhabbarkeit der elektrischen Zigarette: Sie muss nicht erst angezündet und später ausgedrückt und entsorgt werden, sondern ist wie das Smartphone immer zur Hand und sofort einsatzbereit. »Ich kann sie jederzeit ohne Anschalten nutzen, da findet schnell eine Konditionierung statt«, sagt die Gesundheitspädagogin, »und das wiederum beschert uns schnell die Abhängigen von morgen. Die Debra-Studie zeigt leider auch: Nur eine geringe Menge der E-Zigaretten-Nutzer hat Lust aufzuhören.« Weil das Liquid mit dem Tabak nur erhitzt statt verbrannt wird, kommt die E-Zigarette ohne einige der nachweislich schädlichen Verbrennungsprodukte der konventionellen Zigarette aus. »Dennoch wissen wir nicht, was die Substanzen, die dort verdampft und inhaliert werden, langfristig für Konsequenzen haben«, sagt Engler, »das ist ein Versuch am lebendigen Menschen.« Und bei Jugendlichen umso kritischer zu sehen, weil sich deren Gehirne noch in der Entwicklung befinden. Dass wieder mehr Jugendliche zu Tabakprodukten greifen, bezeichnet auch Burkhard Blienert als beunruhigenden Trend, dem man mit aller Entschlossenheit entgegentreten müsse. »Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt«, sagt der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Er verweist darauf, dass jedes Jahr mehr als 127000 Menschen in Deutschland an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben. Millionen leiden unter den Folgen des Rauchens: Krebs-, Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen. »Wer verhindern will, dass auch in 20 oder 30 Jahren noch Zehntausende Menschen in Deutschland an den Folgen des Rauchens sterben, der muss heute die richtigen Weichen stellen«, sagt Blienert. »Dazu gehören weitreichendere Werbebeschränkungen und ein lückenloses Verbot des Sponsorings durch die Tabakindustrie. Denn je häufiger Jugendliche mit Tabakwerbung konfrontiert werden, desto früher fangen sie mit dem Rauchen an.«
Verführerische Werbung
Das bestätigt das Präventionsradar der DAK-Gesundheit und des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord). Laut der repräsentativen Studie erhöht der Kontakt mit Werbung für E-Zigaretten die Wahrscheinlichkeit, diese zu probieren, um 142%. Konkret heißt das: Etwa jeder sechste Schüler (15,9%) mit niedrigem Werbekontakt hat bereit E-Zigaretten geraucht. Bei hohem Werbekontakt ist es mehr als jeder dritte Schüler (38,5%) – ein Plus von 142%. »Kinder und Jugendliche werden durch Werbung zum Rauchen verführt. Deshalb muss die Politik nun endlich ein umfassendes Werbeverbot für Tabak, Zigaretten und auch für E-Zigaretten durchsetzen«, fordert Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstands der DAK-Gesundheit. »Als Kasse schließen wir uns auch den Forderungen der Weltgesundheitsorganisation an, E-Zigaretten und Tabakerhitzer strenger zu regulieren. Der Schutz der Gesundheit muss an erster Stelle stehen.« Im Juni 2023 hat der Bundestag eine Änderung des bestehenden Tabakproduktgesetzes beschlossen, dass nun auch die Verpackungen von Tabakerhitzern – dazu zählt die E-Zigarette – sogenannte Text-Bild-Warnhinweise tragen müssen. Außerdem wird das bei herkömmlichen Tabakprodukten bereits bestehende Verbot von Aromen und Aromastoffen nun auch auf Tabakerhitzer angewendet. »Was krank macht, soll nicht nach Obstsalat oder Fruchtbonbon schmecken«, sagt Blienert. »Die im Bundestag beschlossenen Regeln für mehr Gesundheitsschutz bei Tabakerhitzern sind ein guter Schritt für mehr Gesundheitsschutz, können aber nur der Anfang sein.«