An Straßen, an Stränden, in Wäldern und Gewässern – überall auf der Welt sind die Auswirkungen unserer Einweg-Kunststoff-Wegwerfkultur zu sehen. Eine Verschmutzung, die nicht nur der Umwelt, sondern auch der Gesundheit schadet.
»Dieser ganze Verpackungsmüll ist einfach unbegreiflich«, sagt Mario und zieht drei rote Paprika aus ihrer Plastikhülle. »Privat kann ich da gegensteuern, indem ich bewusst unverpackt kaufe, aber in der Gastronomie zählt der Kostenfaktor«, erklärt der Koch. »Die Müllmassen sind ja lange nicht das einzige Problem, das der Mensch sich selbst mit seinem Plastikwahn schafft.«
Eine gefährliche Mischung
Plastik ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Kunststoff, der nach dem Zweiten Weltkrieg kostengünstig in die Massenproduktion ging und vielseitig in allen verschiedenen Formen billig und hygienisch zunehmend andere Materialien ablöste. Hergestellt wird er meist aus Erdöl bzw. dem daraus gewonnenen Rohbenzin. Die gewünschten Eigenschaften wie Farbe, Härte, Temperaturbeständigkeit oder Elastizität lassen sich durch Zugabe weiterer Stoffe, sogenannter Additive, ganz individuell anpassen. Dazu gehören Farbmittel, Füll- und Verstärkungsstoffe, Stabilisatoren oder Weichmacher. Letztere sind seit mehr als 20 Jahren wegen ihrer Gesundheitsgefahren in Verruf geraten.
»Nachdem ich mich intensiver über die möglichen Gesundheitsgefahren durch Plastik informiert habe, bin ich ziemlich schnell auf Glasflaschen und -schüsseln umgestiegen. Das ist inzwischen gut zehn Jahre her«, erinnert sich Mario.
Aus der größten Gruppe der Weichmacher, den Phthalaten, wurden bereits im Jahr 2005 einige aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die menschliche Fortpflanzung in bestimmten Produkten verboten. Für Kunststoffverpackungen im Lebensmittelbereich hat die Europäische Union (EU) seinerzeit Grenzwerte festgelegt und bestimmte Einsatzbeschränkungen erlassen, etwa Verbote für den Kontakt mit fetthaltigen Lebensmitteln sowie für Säuglings- und Kleinkindnahrung.
Versteckte Weichmacher
Doch Einsatzbeschränkungen und Verbote scheinen die Gesundheitsgefahr noch nicht zu bannen. Ende Januar dieses Jahres meldete das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NordrheinWestfalen (LANUV) den Nachweis hoher Konzentrationen von Mono-n-hexylphthalat in Kinderunrin. Im menschlichen Körper entsteht dieses Abbauprodukt unter anderem aus dem krebserregenden, erbgutverändernden und fortpflanzungsgefährdenden Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP). In der EU ist dieser Weichmacher seit 2013 als besonders besorgniserregend eingestuft und seit 2023 zulassungspflichtig.
Da eine DnHexP-Verwendung laut Umweltbundesamt bislang nicht beantragt wurde, könnten Verunreinigungen womöglich aus anderen Stoffen resultieren, zum Beispiel in Verbindung mit Altlasten, Herstellungsprozessen oder DnHexP-haltigen Importerzeugnissen. Laut Bundesverband der Verbraucherzentralen sei beispielsweise eine Verunreinigung über den UV-Filter DHHB denkbar, da deutlich höhere Werte bei Kindern gemessen wurden, die am Tag der Probeentnahme oder an zwei Tagen zuvor Sonnenschutzmittel verwendetet hatten. »Als ich das hörte, war ich richtig schockiert«, sagt Mario: »Ich nutze zwar Apps wie CodeCheck und ToxFox, um manche Lebensmittel und Kosmetik-Produkte auf schädliche Inhaltsstoffe zu prüfen, aber beim Lichtschutzfaktor von Sonnencremes hatte ich bislang keine Bedenken. Umso mehr versuche ich nun herauszufinden, ob auch meine Creme betroffen ist.«
Mögliche Ursachen
Neben dem UV-Filter könnte es auch andere Ursachen geben, vermutet der Bundesverband der Verbraucherzentralen, denn der Weichmacher sei schon in Spielzeugen aus PVC-Kunststoff, in Kinderkleidung aus Asien oder im Hausstaub nachgewiesen worden.
Die im Kinderurin gemessenen Werte stellen laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und Umweltbundesamt kein Gesundheitsrisiko dar. Doch müssten gegebenenfalls Mehrfachbelastungen durch ähnlich wirkende Substanzen berücksichtigt werden.
Im Rahmen der sechsten Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit (GerES VI) hat das Umweltbundesamt Mono-n-hexylphthalat in etwa einem Drittel von bislang 750 untersuchten Urinproben bei Erwachsenen nachgewiesen. Da die Studie noch bis in den Spätsommer 2024 andauert, sind Ergebnisse allerdings erst im nächsten Jahr zu erwarten.
Unbeabsichtigte Aufnahme von Plastik
Fest steht, dass jeder Mensch weltweit im Durchschnitt pro Woche auch rund 1972 Mikroplastikpartikel, rund 5 Gramm, unbewusst in sich aufnimmt. Das ergaben Berechnungen der australischen University of Newcastle. Die größte Quelle ist mit 1769 Partikeln das Trinkwasser. Eine amerikanische Studie wies Anfang dieses Jahres darauf hin, dass Wasser aus Plastikflaschen wesentlich stärker mit Plastikpartikeln belastet sei als angenommen, so das Verbrauchermagazin ÖKO-TEST. Wissenschaftler der Universitäten Columbia und Rutgers fanden im Durchschnitt etwa 240000 Mikro- und Nanoplastikteilchen pro Liter Wasser, fast eine Viertelmillion. Mikroplastik ist kleiner als 5 Millimeter, Nanoplastik weniger als ein Mikrometer. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist etwa 60 bis 80 Mikrometer breit. Aktuell sei rund 10- bis 100-mal mehr Nano- als Mikroplastik festgestellt worden. Mögliche Ursachen vermutet Naixin Qian, physikalische Chemikerin der Columbia Universität in New York und Hauptautorin der Studie, in den Plastikflaschen selbst oder in einem speziellen Filter, der bei der Abfüllung Verunreinigungen fernhalten soll.
Über Luft und Lebensmittel
Mikro- und Nanoplastik entstehen zum Beispiel durch Umwelteinflüsse wie UVStrahlung und Sauerstoff, aber auch durch den Abrieb von Reifen oder Schuhen. So gelangen die kleinen Teilchen auch über Luft und Lebensmittel in den menschlichen Körper. »Selbst eigentlich gesundes Essen wie Fisch und Meeresfrüchte ist nachweislich stark damit belastet«, weiß Mario. Bestimmten Produkten wie Kosmetika, Peelings, Düngemitteln, Pflanzenschutzprodukten, Haushalts- und Industriereinigern, Farben und Produkten für die Öl- und Gasindustrie wird laut der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Mikroplastik bewusst als Bindemittel hinzugefügt oder um die Konsistenz zu verändern bzw. bestimmte Effekte zu erzielen. 2023 wurde das allerdings im Rahmen der Chemikalienverordnung REACH in der EU verboten. Teilweise gelten dabei Übergangsfristen bis zum Jahr 2035.
Unklare Studienlage und Forschungsbedarf
Wie sich die über das Wasser aufgenommenen Nanopartikel auf die Gesundheit auswirken, werde derzeit noch untersucht, so Phoebe Stapleton, Toxikologin an der Universität Rutgers in New Jersey. Das etwas größere Mikroplastik konnte von Forschenden bereits im Blut, in Exkrementen und im Gewebe von Lunge, Leber, Herz, Gehirn und Plazenta, einem wichtigen Stoffwechselorgan während der Schwangerschaft, nachgewiesen werden. Fachleute vermuten darin einen Auslöser von Entzündungsreaktionen, Stoffwechselstörungen, Nervenschädigungen und krebsauslösenden bzw. begünstigenden Effekten. Konkret nachweisen konnte ein Forschungsteam aus Italien aktuell ein erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko durch Mikroplastikpartikel in den Blutgefäßen. Das BfR betont, dass es kaum belastbare Zahlen zur gesundheitlichen Auswirkung von Mikroplastik gäbe. Einen möglichen Grund dafür zeigen im Februar veröffentlichte Studienergebnisse aus dem Sonderforschungsbereich Mikroplastik der Universität Bayreuth: Scheinbar völlig identische Mikroplastikteilchen wirken aufgrund ihrer elektrischen Ladung ganz unterschiedlich auf menschliche Zellen. Diese Interaktionen sind allerdings eine Grundlage für potenziell schädliche Auswirkungen. Laut Prof. Dr.Holger Kress, einem der Initiatoren der Studie, bietet diese Feststellung eine mögliche Erklärung für bislang immer wieder auftretende Widersprüche in Forschungsstudien zu gesundheitlichen Auswirkungen durch Mikroplastik. Einen weiteren Forschungsbedarf dazu sieht auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).