Die Antibabypille gilt als verlässliches hormonelles Verhütungsmittel, aber eben auch als Medikament mit Nebenwirkungen. Immer häufiger gerät die Pille in die Kritik. Zu Recht?!
Es war ein gigantischer Schritt für die Selbstbestimmung der Frau, als 1960 die erste Antibabypille in den USA auf den Markt kam. Ein Jahr später war sie in Westdeutschland erhältlich, weitere vier Jahre später in der früheren DDR. Verschrieben wurde sie nur verheirateten Frauen, offiziell ›gegen Menstruationsbeschwerden‹. Erst am Ende der Packungsbeilage fand sich der Hinweis, dass sie auch vor Empfängnis schützt. Zum ersten Mal waren heterosexuelle Frauen jetzt in der Lage, ihre Sexualität eigenverantwortlich zu leben – entkoppelt von einer möglichen Schwangerschaft.
Die Pille veränderte die Welt und führte von Beginn an zu Diskussionen. Vor allem Männer mit tradierten Moralvorstellungen waren dagegen und für gläubige Katholiken war sie praktisch verboten. Auch Frauen reagierten zurückhaltend, aber nur kurz. Ab Mitte der 1960er-Jahre gab es eine sprunghafte Verbreitung, Anfang der 1970er-Jahre dann den sogenannten Pillenknick. Der damals deutliche Geburtenrückgang geht auf soziale, wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen zurück. Auch die Pille spielte eine Rolle, war aber nicht der Hauptgrund.
65 Jahre Pille
Ab den 1970er-Jahren war die Pille das Verhütungsmittel Nummer eins. In den vergangenen zehn Jahren ist ein Abwärtstrend zu erkennen und 2023 hat das Kondom die Pille von der Spitzenposition verdrängt. Während vor 15 Jahren noch mehr als die Hälfte der Erwachsenen mit der Pille verhütete, belegen aktuelle Zahlen, dass nur noch 38% dazu greifen – mehr als die Hälfte nimmt jetzt lieber ein Kondom. Auch entscheiden sich immer weniger junge Frauen für die Pille. Bei den unter 22-Jährigen sind es nur noch 25% (vor zehn Jahren waren es noch 43%). Dennoch ist die Pille nach wie vor das häufigste hormonelle Verhütungsmittel. Weit abgeschlagen ist die Spirale (14%), und ganz selten kommen alternative Verhütungsmethoden (4%) wie Temperaturmessen oder die Kalendermethode sowie die Sterilisation des Mannes, zum Einsatz. Gründe für das veränderte Verhütungsverhalten sind vermutlich eine zunehmend kritische Einstellung gegenüber hormonellen Methoden und ein stärkeres Bewusstsein für mögliche Nebenwirkungen. 2023 stimmten 64% der Aussage zu, die Pille habe ›negative Auswirkungen auf Körper und Seele‹ (2018: 40%). Bemerkenswert ist, dass vor allem Männer kritischer wurden (+24% im Fünfjahresvergleich).
Kleine Pille, große Wirkung
Die Antibabypille enthält weibliche Geschlechtshormone, genauer: immer Gestagen und in einer Kombinationspille auch ein Östrogen. An der Wirkungsweise hat sich bis heute nichts geändert, an der Hormondosierung allerdings schon. Heute ist – im Vergleich zur ersten Pillengeneration – nur noch ein Bruchteil der Hormone enthalten. »Die Anti-Baby-Pille gibt es nicht. Vielmehr wird unter diesem Begriff eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Präparate mit unterschiedlichen Wirkstoffen zusammengefasst – entsprechend unterschiedlich sind daher die Wirkungen«, erklärt Neurobiologin Univ.-Prof. DDr. Belinda Pletzer von der Universität Salzburg. »Gemeinsam haben sie jedoch ein erklärtes Ziel: den Eisprung unterdrücken und damit eine Empfängnis verhindern.« Pletzer hat u. a. herausgefunden, dass die Pille die weibliche Gehirnstruktur beeinflusst, und leitet aktuell eine Längsschnittstudie, um konkrete mögliche Auswirkungen von Antibabypillen auf das Gehirn zu untersuchen. Die Studie, die noch bis 2026 läuft, konzentriert sich vor allem auf die Nutzung der Pille bei Jugendlichen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Seitdem die Pille auf dem Markt ist, sind Nebenwirkungen bekannt. Neben möglichen positiven Auswirkungen, z. B. einer schwächeren und kürzen Blutung, einer Zyklusstabilisierung, einer Linderung von Periodenschmerzen, PCO oder Endometriose, können auch negative Auswirkungen auftreten. Laut Packungsbeilage der am häufigsten verordneten Pillen zählen hierzu u. a. depressive Stimmungslagen, Kopfschmerzen, Brustschmerzen, Übelkeit, Appetitveränderungen, Gewichtszunahme, Libidoabnahme, Migräne, unregelmäßige/keine/starke Blutungen oder Müdigkeit / Erschöpfung. Diese könnten je nach Präparat ›häufig‹ (eine von zehn Anwenderinnen) oder ›gelegentlich‹ (eine von hundert Anwenderinnen kann betroffen sein) auftreten. Der Berufsverband der Frauenärzte betont: »Ärztliche Aufgabe der Kontrazeptionsberatung ist es, durch qualifizierte Aufklärung und Unterstützung sowie eine individuelle Risikobewertung den Anwenderinnen zu einer informierten Entscheidung bei der Wahl einer Verhütungsmethode zu verhelfen.«
Depressionen und auch depressive Verstimmungen seien bekannte Nebenwirkungen hormoneller Kontrazeptiva. Das höchste Risiko bestünde bei Beginn der Einnahme im Jugendalter; bei erwachsenen Frauen falle es geringer aus. »Depressionen können schwerwiegend sein und sind ein allgemein bekannter Risikofaktor für suizidales Verhalten und Suizid.« Auf diese Nebenwirkungen werde in den Gebrauchs- und Fachinformationen sowie in der ärztlichen Beratung hingewiesen. Der Berufsverband betont allerdings auch, dass neben der Einnahme der Kombinationspille auch soziodemografische Faktoren wie das Fehlen einer vertrauensvollen persönlichen Beziehung das Risiko beeinflussen, an Depressionen zu erkranken.
Mehr Thrombosen, Embolien, Brustkrebs?
Besonders gewarnt wird zudem vor Thrombosen und Embolien, die eine »bekannte seltene Nebenwirkung bei der Anwendung aller hormonellen Verhütungsmittel« sind, so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das Risiko zur Entwicklung eines Blutgerinnsels variiere je nach Pille und könne 9 bis 12 von 10000 Frauen betreffen. Zum Vergleich: Bei Frauen, die nicht hormonell verhüten, liegt das Risiko nur bei zwei von 10000 Frauen. Das BfArM forderte die Ärztinnen und Ärzte deshalb zuletzt 2024 in einem Rundbrief auf, Patientinnen ausführlich über derartige Risiken aufzuklären. Allerdings werde das Thromboserisiko auch durch Aspekte wie Rauchen, Übergewicht oder das Alter beeinflusst.
Zu der Frage, ob die Antibabypille möglicherweise das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöht, sagt die Deutsche Krebsgesellschaft: »Wie bei den meisten Krebsarten sind auch beim Brustkrebs die eigentlichen Ursachen nicht bekannt. Man kennt jedoch verschiedene Faktoren, die allein oder zusammen das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, erhöhen können. Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva (Antibabypille) erhöht zwar leicht das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, aber nicht das Risiko, an Brustkrebs zu versterben.« Auf der anderen Seite senke die Pille das Risiko, an Eierstockkrebs oder Endometriumkrebs zu erkranken, deutlich.
Pille nehmen oder nicht?
»Bei den meisten Frauen überwiegt der Nutzen das Risiko für das Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen bei weitem«, meint das BfArM. Klar ist, dass eine intensive Aufklärung notwendig ist und die Antibabypille nicht als Lifestyleprodukt verharmlost werden darf. Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft fordert eine bessere, unabhängige Aufklärung und »keine Gesundheitsinformationen durch die Pharmaindustrie«. Denn kritisch wird es, wenn Pharmaunternehmen Risiken verschweigen oder unseriöses Influencer-Marketing betrieben wird.
Ist es also eine gute, oder eine schlechte Pille? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, gilt es herauszufinden, »ob es Einflüsse auf das Gehirn gibt, wie diese aussehen und wie sie sich zwischen verschiedenen Pillen unterscheiden«, sagt Neurobiologin Pletzer. »Wie bei allen hormonellen Umstellungen im Leben (Pubertät, Zyklus, Schwangerschaft, Menopause) gibt es Frauen, die sich mit der Pille wohlfühlen und solche, bei denen das nicht so ist.« Die Entscheidung für oder gegen die Pille kann also nur jede Frau für sich selbst treffen.