Ein Kernelement der geplanten Reformen für die ambulante medizinische Versorgung kommt in die entscheidende Phase der Ausschuss-Beratungen im Bundestag: das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG).
Die zentrale Neuregelung betrifft das Honorarsystem für die Hausärzte: Die Umstellung von Quartals- auf Jahrespauschalen wird dabei unisono begrüßt, die Aufhebung der Budgetierung hausärztlicher Leistungen wird von Ärzte- und Kassenseite kontrovers beurteilt.
Beide Reformelemente zielen darauf ab, dass es für Patientinnen und Patienten künftig leichter wird, einen Hausarzt oder eine Hausärztin zu finden. In der Vergangenheit war zunehmend beklagt worden, dass es insbesondere nach Schließung einer Praxis, zum Beispiel als Folge des Ruhestands, schwierig war, einen neuen Hausarzt zu finden, der vor allem die Betreuung chronisch Kranker dauerhaft zu übernehmen bereit war.
Neue Honorarsystematik
Die neue Honorarsystematik – Jahres- statt Quartalspauschalen – soll die Arbeitsbelastung für Ärztinnen und Ärzte senken: durch weniger Konsultationen, über die künftig allein medizinische Aspekte entscheiden. Denn die bisherige Honorarsystematik stand in Verdacht, auch nicht notwendige Arzt-Patienten-Kontakte auszulösen, was unnötig ärztliche Arbeitszeit gekostet hat. Die Aufhebung der Budgetierung verfolgt den Zweck, dass begrenztes Geld und als Folge dessen die Nichthonorierung von Leistungen als Grund für die Ablehnung einer Aufnahme neuer Patienten entfällt. Denn mit der Reform ist garantiert, dass 100% der Leistungen vergütet werden, was bislang nicht immer der Fall war.
Zur neuen Honorarsystematik: Mit ihr wird die bisher geltende quartalsweise abzurechnende Chronikerpauschale durch eine jährliche Versorgungspauschale ersetzt. Voraussetzung ist, dass chronisch Kranke über vier Quartale beim Hausarzt in Behandlung sind und eine chronische Krankheit vorliegt, die medikamentös behandelt wird; auf die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte kommt es dabei nicht mehr an.
Komplexe technische Umsetzung
Das führt allerdings bei näherer Betrachtung zu einigen Herausforderungen bei der konkreten Umsetzung, wie die Stellungnahme des Hausärzteverbandes zeigt:
Der Bewertungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen kann die Höhe der Versorgungspauschale nach dem Ausmaß des Behandlungsbedarfs staffeln. Definiert werden muss noch, welche Anforderungen an die chronische Krankheit gestellt werden; das muss unterschieden werden von der Definition der ›schwerwiegenden chronischen Erkrankung‹ der Chroniker-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Vermieden werden muss, dass Ärzte dann, wenn eine intensive, aufwendige und mit häufigen Kontakten verbundene Behandlung nötig ist, durch Einführung der Jahrespauschale schlechter gestellt werden. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass sich der Gesundheitszustand chronisch Kranker im Jahresablauf ändern kann und eine intensive Betreuung nötig wird, deren Aufwand mit der Jahrespauschale nicht mehr abgedeckt ist.
Ferner muss der Bewertungsausschuss Ausnahmen für den Fall treffen, dass ein Patient nicht über vier Quartale durchgängig von einer Praxis betreut werden kann. Beispielsweise aufgrund eines Umzugs oder einer Praxisschließung.
Werden mehrere Hausärzte parallel in Anspruch genommen (zum Beispiel zusätzlich eine diabetologische Schwerpunktpraxis), muss differenziert werden, ob die weitere Praxis eine umfängliche hausärztliche Versorgung leistet oder ob es sich nur um eine Mitbehandlung für spezielle Leistungen handelt. Nach Daten der KBV hat gut ein Drittel der chronisch kranken Patienten zwei oder mehr Hausärzte. In dieser Konstellation entsteht ein schwer lösbarer Konflikt zwischen dem Risiko einer Doppelabrechnung und -vergütung und dem Risiko einer Nichtvergütung und folgenden rechtlichen Auseinandersetzungen.
Zu hohe Anforderungen?
Ein weiteres neuartiges Vergütungselement ist die geplante Vorhaltepauschale für typische hausärztliche Leistungen und deren Differenzierungsgrad. Dazu zählen insbesondere eine Mindestanzahl der zu versorgenden Patientinnen und Patienten je Arzt (450), Haus- und Pflegeheimbesuche mit regelmäßig aufsuchenden Behandlungen von Patienten über 75 Jahre, Abend- und Samstagssprechstunden, Geriatrie und Palliativmedizin. Diese Vorhaltepauschale kann vom Bewertungsausschuss gestaffelt werden. In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, ob und wie viele Patientinnen und Patienten eine Praxis im Rahmen einer hausarztzentrierten Versorgung betreut, weil ansonsten das Ausmaß der Leistung und ihrer Differenzierung verzerrt würde.
Bei der Ausgestaltung der Anforderungen und der Bemessung der Vorhaltepauschalen warnen die KBV und der Hausärzteverband vor überzogenen Vorgaben durch den Gesetzgeber oder den Bewertungsausschuss, beispielsweise hinsichtlich der Erreichbarkeit einer Praxis (rund um die Uhr? Auch am Wochenende?). Das könne die Attraktivität des Betriebs einer Hausärztepraxis schmälern (so der Hausärzteverband), aber insbesondere auch aufgrund von signifikanten Umsatzeinbußen (bis zu fünfstellig, so die KBV) das Leistungsangebot mindern, was kontraproduktiv wäre. Der GKV-Spitzenverband weist darauf hin, dass als Folge der zunehmenden Pauschalisierung der Vergütung Transparenz über die Art und Menge der erbrachten Leistungen verloren gehe und der Bewertungsausschuss daher mit einem gesetzlichen Qualitätsmonitoring beauftragt werden sollte.
Kontrovers ist hingegen zwischen Ärzten und Kassen die Aufhebung der Budgetierung der hausärztlichen Vergütung. Die Neuregelung sieht vor, dass alle typischen hausärztlichen Leistungen und Hausbesuche vollständig mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung honoriert werden. Es wird zwar vorab für die Hausärzte eine vereinbarte Gesamtvergütung zur Verfügung gestellt, reicht diese aber nicht aus, so müssen die Kassen Geld nachschießen. Wird die Gesamtvergütung nicht ausgeschöpft, so müssen die Vertragspartner Überschüsse in Form von Vergütungszuschlägen zur Förderung der hausärztlichen Versorgung verwenden.
GKV: Viel Aufwand für wenig Effekt
Während KBV und Hausärzteverband die Entbudgetierung begrüßen, führt der GKV-Spitzenverband gravierende Bedenken ins Feld: Bei Reinerträgen von Allgemeinärzten, die von 188.000 im Jahr 2019 auf 220.000 Euro in 2021 (plus 17%) gestiegen sind (Arbeitnehmerentgelte nur um 2,7%), sei die Entbudgetierung nicht zu rechtfertigen. Bis auf Berlin und Hamburg (jeweils mit hoher Arztdichte) lägen die Auszahlungsquoten für Hausärzte bei nahezu 100%. Insofern könne die Entbudgetierung nicht notwendige und unwirtschaftliche Leistungsausweitungen in überversorgten Gebieten zur Folge haben, jedoch ohne positiven Effekt auf die Versorgung in ländlichen Regionen bleiben. Die Kassen halten es nicht für angemessen, dafür mindestens 300 Millionen Euro einzusetzen. Besser wären gezielte Anreize zur Förderung der Niederlassung.
Ganz anders sieht das der Spitzenverband der Fachärztinnen und Fachärzte: Der Einstieg zur Entbudgetierung bei den Hausärzten sei nur ein erster Schritt, angesichts der Wartezeiten bei Fachärzten sei auch bei ihnen eine Vergütung ohne Budget nötig. Mindestens seien aber Sofortmaßnahmen nötig: die Absicherung einer Mindest-Auszahlungsquote von 90% und die vollständige Vergütung aller von Hausärzten und Kliniken veranlassten fachärztlichen Leistungen.