Ob Elektro-Muskel-Stimulatoren, Lichttherapie oder Glukose-Sensoren – der Markt für Hilfsmittel, die Fitness und Gesundheit versprechen, aber von zweifelhaftem Nutzen sind, boomt. In den sozialen Medien finden Anbieter ein Millionen-Publikum, das sich gewinnbringend verführen lässt.
Für Menschen mit Typ-1-Diabetes oder Schwangerschaftsdiabetes war es eine spürbare Erleichterung, als 2014 die ersten Gewebezuckersensoren des amerikanischen Pharmakonzerns Abbott auf den deutschen Markt kamen. Die kleinen digitalen Helfer am Oberarm machen den Stich in den Finger zur Ermittlung des Blutzuckerwerts überflüssig. Stattdessen misst ein Sensor rund um die Uhr den Glukosespiegel. Neue CGM-Systeme (Continous glucose monitoring, also kontinuierliches Glukosemonitoring) sorgen dafür, dass die Daten automatisch aufs Smartphone gesendet werden.
Hype um Glukose-Sensoren
Die Erfindung ist ein Milliarden-Geschäft und wird mittlerweile auch unter Nicht-Diabetikern, vor allem Frauen, als ›Glukose-Revolution‹ vermarktet. Für den medialen Hype sorgt insbesondere die französische Biochemikerin Jessie Inchauspé, die auf Instagram 4,6 Millionen Follower zählt, Bestseller schreibt und mit Verweis auf wissenschaftliche Studien vor hohen Blutzucker-Ausschlägen durch bestimmte Lebensmittel warnt. Müdigkeit, Herzerkrankungen, Depressionen und sogar Alzheimer seien mögliche Folgen. »Je öfter der Blutzucker in die Höhe schnellt, desto früher stirbt man«, verkündete sie in einem ihrer vielen Interviews.
Nicht nur der Trend, Daten über den eigenen Körper mit Wearables zu sammeln, lässt das Geschäft mit CGM-Sensoren unter Gesunden boomen. Seit ein paar Jahren versuchen Unternehmen wie das deutsch-österreichische Start-up ›Hello Inside‹ Glukose-Messer inklusive Ernährungsberatung per App auch als ideale Diät für Frauen zu verkaufen. Für einen Monats-Abo-Preis von rund 100 € wird ein ›besseres Gewichtsmanagement‹ durch konstant niedrigen Blutzucker versprochen. Viele Medizinerinnen und Mediziner sorgen sich mittlerweile, dass der CGM-Hype Magersucht und Orthorexie, die zwanghafte Fixierung auf eine rein gesunde Ernährung, unter jungen Frauen fördert.
Nutzen ist nicht bewiesen
Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht die Gefahr, dass CGM bei Gesunden im Alltag Überforderung und Frustration auslösen könne. »Eine Verminderung des Risikos für Gefäßerkrankungen, Diabetes oder andere Krankheiten durch CGM bei Gesunden ist nicht bewiesen«, betont DDG-Sprecher Baptist Gallwitz. Einen nachgewiesenen Zusatznutzen gebe es nicht. Ernährungswissenschaftlerin Jasmin von Zezschwitz wird deutlicher: »Wenn mir grundlegendes Wissen über Ernährung fehlt, muss ich nicht darüber nachdenken, ob der eine Ausschlag im Glukosespiegel jetzt von Cappuccino mit Hafermilch oder dem Keks kommt.« Ohne Begleitung durch Fachpersonal könne dies zu falschen Rückschlüssen führen. Leider gebe es im Netz viel ›Wissen‹, das eher auf Meinungen oder Provisionsabsichten basiere. Manchmal mit bitteren Folgen. So habe der Hype um die ›Abnehmspritze‹ bereits zu Lieferengpässen des Wirkstoffes GLP-1 geführt, auf den Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 angewiesen sind.
Gute Geschäfte werden unter anderem auch mit Hilfsmitteln zur elektrischen Stimulation der Muskeln (EMS-Geräte) und der Nerven (TENS-Geräte) gemacht. Die Branche verzeichnete 2022 in Deutschland ein Umsatzplus von 32%. Renner ist der Revitive Durchblutungs-Stimulator, ein britisches Medizinprodukt, das laut Eigenwerbung hilft, mittels EMS-Technologie und Fußpads Beine gesund zu halten und ›mindestens so wirksam‹ ist wie körperliche Bewegung. Auch die Lichttherapie boomt. Sie wird nicht nur als Therapie gegen saisonale Depressionen (ohne UV-Strahlen) und bei Hauterkrankungen (mit spezieller UV-Strahlung) eingesetzt. In den sozialen Medien wird die Hauptbehandlung mit Rotlicht seit kurzem als ›absolute AntiAging-Wunderwaffe‹ angepriesen.