Die Geburt eines Kindes ist eine der intensivsten Erfahrungen, die das Leben bietet. Doch warum erleben viele Frauen dabei Gewalt?
Voreilige Kaiserschnitte, frühzeitige Geburtseinleitungen, ungewollte Dammschnitte und/oder Medikamentengabe, rabiate Vaginal-Untersuchungen, Angst machende, respektlose Kommentare, fehlende Privatsphäre und mangelnde Empathie sind Beispiele für das, was viele Frauen im Zusammenhang mit der Geburt ihres Kindes erleben. Sie berichten von negativen und manchmal sogar traumatischen Erfahrungen während der Geburtsbegleitung durch das Fachpersonal. So wie Johanna,* die bei der Erinnerung an die Geburt ihrer ersten Tochter vor fünf Jahren heute immer noch mit den Tränen kämpft. Sie blieb stundenlang allein ohne Hebamme, weil die sich gleichzeitig um andere Frauen kümmern musste. In der letzten Geburtsphase hinderte die Hebamme sie ohne Erklärung daran, ihre Gebärposition selbst zu bestimmen. Einen medizinisch notwendigen Grund gab es ihrer Meinung nach dafür nicht. Um das Geschehene aufzuarbeiten, brauchte sie therapeutische Unterstützung und ein engmaschiges Netz aus Familie und Freunden, das sie auffing.
Gewaltvolle Geburt – kein Einzelfall
Schätzungen zufolge sind 10 bis 50% der Geburten in Deutschland von verschiedenen psychischen und/ oder physischen Gewaltformen in der Geburtshilfe betroffen. Die Dunkelziffer ist sicher höher, da viele Fälle aufgrund von Scham oder ungleichen Machtverhältnissen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Eine Onlinebefragung der Psychologischen Hochschule Berlin ergab, dass von insgesamt 1079 befragten Müttern 30 % Vernachlässigung bei der Geburt erlebt hatten. Körperliche Gewalt wurde von 30,9% und psychische Gewalt von 23,1% der Befragten berichtet. Insgesamt war jede zweite Frau von irgendeiner Form von Gewalt betroffen.
Psychische und physische Folgen einer traumatischen Geburt betreffen nicht nur Mutter und Kind, sondern oft die ganze Familie, manchmal auch Hebammen, Auszubildende und Ärzte. Negative Folgen für die körperliche, aber vor allem seelische Gesundheit wie Angststörungen, Depressionen, gestörte Mutter-Kind-Beziehungen, Partnerschaftsprobleme ziehen oft auch finanzielle Kosten nach sich. Notwendige Therapien, zusätzlicher Betreuungsaufwand in Fällen, in denen Mütter nicht das Neugeborene umsorgen können, oder eine Arbeitsunfähigkeit der Väter, die sich um Frau, Kind und Haushalt kümmern müssen, sind Beispiele dafür.
Wenig Vertrauen in die weibliche Gebärkompetenz?
Obwohl die Geburtshilfe große Fortschritte in Bezug auf die Gesundheit von Mutter und Kind gemacht hat, steht die generelle Einstellung vieler Fachleute und werdender Eltern zu einer medizinisch-durchtechnisierten Geburt im Gegensatz zur jahrhundertealten Hebammenkunst und weiblichen Gebärkompetenz. Eine Geburt werde vor allem rein medizinisch betrachtet und unter dem Aspekt möglicher Risiken gesehen, kritisiert unter anderem der Deutsche Hebammenverband.
Auch erleben und verarbeiten Frauen Geburtserfahrungen subjektiv verschieden. »Manchmal sind Eingriffe, die von Frauen als gewaltvoll empfunden werden, nicht zu vermeiden. Vor allem, wenn wir sofort handeln müssen. Übergriffe passieren häufig aus der Überlastung heraus. Wichtig ist danach das gemeinsame Gespräch darüber. Natürlich entschuldigt nichts respektloses Verhalten«, sagt Hebamme Kerstin Toms, die in einer Geburtsklinik gearbeitet hat und heute ein Geburtshaus in Unna leitet. Der natürliche Wehenschmerz oder falsche Erwartungen der Gebärenden hingegen, so die Initiative Motherhood e.V., gehören nicht zu den Gründen, warum Frauen eine Geburt als gewaltsam oder belastend erleben.
Kaiserschnitte, Kosten, Kreißsäle
Ein Kaiserschnitt kann Leben retten und ist nicht zwangsläufig mit einer gewaltvollen Geburtserfahrung verbunden. Ohne Indikation, Einwilligung und Aufklärung können Gebärende sich jedoch entmündigt fühlen und so den Eingriff als Gewalt erleben.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Kaiserschnittrate in Deutschland verdoppelt.
Die Gründe dafür sind vielfältig und mitunter umstritten. Fast jede dritte Geburt in einem Krankenhaus in Deutschland erfolgte 2021 durch einen Kaiserschnitt (Statisches Bundesamt). Nur 10% davon sind medizinisch unbedingt erforderlich. Kliniken profitieren von Kaiserschnitten, da sie höhere Vergütungen von den Krankenkassen erhalten als für eine interventionsarme Geburt.
Der Deutsche Hebammenverband und viele Initiativen wie »Gewaltfreie Geburtshilfe« oder »Roses Revolution Day« kritisieren seit Jahren, dass sich die Situation in der Geburtshilfe deutlich verschärft habe. Weniger Geburtskliniken, erhebliche Personalengpässe, hohe Krankenstände und Kosteneinsparungen hätten die Arbeitsbedingungen von Hebammen massiv verschlechtert, und auch unnötige medizinische Interventionen würden dazu beitragen, dass mehr Fälle von Gewalt unter der Geburt vorkommen könnten.
»Personalmangel, permanente Überforderung und Stress sind heute feste Bestandteile des Arbeitsalltages in vielen Kliniken«, so Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes: »Ob Ärztinnen und Ärzte, Pflegende oder Hebammen in den Kreißsälen, sie alle leiden darunter. Die Auswirkungen sind überall sichtbar – im schlimmsten Fall als Gewalterfahrung für die Frauen im Kreißsaal. Wir fordern hier eine Null-Toleranz-Grenze.« Stattdessen komme es darauf an, einen offenen gesellschaftlichen und politischen Diskurs zum Thema anzuregen, Fälle von Gewalt unter der Geburt anzuerkennen, Hebammen und medizinisches Fachpersonal zu sensibilisieren, das eigene geburtshilfliche Handeln kritisch zu hinterfragen und Gebärende bei Eingriffen aufzuklären.
Rosen als Zeichen
Das öffentliche Bewusstsein dafür, dass das Recht auf eine gewaltfreie Geburt essenziell ist, wächst. Weltweit setzen sich Organisationen dafür ein, die Situation zu verbessern, indem sie auf die Bedeutung einer respektvollen Geburtshilfe hinweisen. Am ›Rose Revolution‹-Tag legen seit 2011 jährlich am 25. November Frauen rosafarbene Rosen und Briefe vor Kreißsälen und Kliniken ab, in denen sie physische oder psychische Gewalt erfahren haben.
Vor allem Gewalterfahrungen bei Klinikgeburten erhalten mediale Aufmerksamkeit. Kein Wunder, denn rund 98% aller Kinder werden hierzulande in Krankenhäusern geboren.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Berufsverband der Frauenärzte betonen, dass die größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind während der Geburt nur in einer Geburtsklinik gewährleistet werden könne. Jedoch steigt die Zahl außerklinischer Geburten seit Jahren an.
Johanna hat sich bei der Geburt ihres zweiten Kindes vor drei Jahren bewusst für ein Geburtshaus entschieden. Sie sagt: »Die zweite Geburt war völlig anders. Klar war sie schmerzhaft, aber ich fühlte mich angemessen behandelt, die Hebamme war die ganze Zeit bei mir. Ich habe diese Geburt selbstbestimmter erlebt und hatte die Zeit, damit mein Kind in Ruhe ankommen kann.«
Bessere Bedingungen in der Zukunft?
Die Rechte von Schwangeren und Gebärenden sind im Patientenrechtegesetz verankert. Angemessene Voraussetzungen für Schwangere und Hebammen, informierte Eltern, eine gute Kommunikation und die Sensibilisierung aller an einer Geburt Beteiligten tragen dazu bei, negative Erfahrungen und traumatische Ereignisse zu vermeiden.
Mit dem aktuellen Krankenhauspflegeentlastungsgesetz soll die Geburtshilfe in Kliniken gestärkt und der Bestand von Krankenhäusern mit einer Fachabteilung für Geburtshilfe gesichert werden. Bisher wurden Hebammen nach dem sogenannten DRG-System, dem Abrechnungssystem nach Fallpauschalen, bezahlt. Geburtshilfestationen erhalten in diesem Jahr zusätzlich über 100 Millionen Euro, und ab 2025 sollen die die Personalkosten für die Hebammenbetreuung vollständig nach tatsächlichem Aufwand refinanziert werden. Ob dann einiges besser wird?
*Name geändert
Wer Gewalt bei der Geburt erfahren hat, kann sich unter anderem an folgende Stellen wenden:
- Traum(a)Geburt e.V., E-Mail: info@traumageburtev.de
- Hilfetelefon Schwierige Geburt, Telefon: 0228-92959970
- Roses Revolution – UN Women Deutschland
- Zu den Patientenrechten auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums