Ob am Meer, in den Bergen oder auf ›Balkonien‹ – viele Menschen freuen sich auf den bevorstehenden Urlaub. Warum Erholung wichtig ist und wie sie am besten gelingt, haben wir Laura Venz gefragt. Als Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie forscht sie an der Leuphana Universität in Lüneburg unter anderem über die Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Arbeit, Alter und Digitalisierung.
Frau Professor Venz, warum sind Erholungsphasen wichtig?
Erholung ist wichtig, weil sie dem Stressprozess entgegengesetzt ist. Ich nutze gern die Metapher unseres Smartphones: Was passiert, wenn ich regelmäßig am Handy bin? Der Akku geht runter. Vergesse ich, ihn wieder aufzuladen, geht er aus und ich kann das Handy nicht mehr nutzen. Genau genommen geht es uns genauso: Arbeit strengt an, das ist ganz normal. Eine Tatsache ist aber auch, wenn ich heute Abend meinen Computer runterfahre, bin ich mehr ermüdet als heute Morgen, als ich angefangen habe zu arbeiten. Der Akku geht also runter, und Erholung ist quasi das, was passiert, wenn das Handy am Strom hängt – der Akku lädt auf, so dass wir wieder mit Energie und Elan in den Tag starten können. Leider ist das bei uns Menschen nicht so einfach wie beim Handy – an den Strom hängen und gut ist.
Viele Menschen gehen extrem gestresst in den Urlaub. Man möchte einen geordneten Schreibtisch hinterlassen, alle Aufträge erledigen, alle Reisevorbereitungen treffen. Ist das zu viel des Guten?
Ja, oft arbeiten wir unter Volldampf bis zur letzten Minute und machen den Urlaub damit erst recht so richtig notwendig für uns. Wenn ich Land unter im Büro habe und gleichzeitig weiß, am nächsten Tag geht mein Flieger oder Zug – ich muss noch einkaufen, waschen, aufräumen, Koffer packen, dann steigt unser Stresslevel. Oft arbeiten wir uns regelrecht in die Notwendigkeit des Urlaubs rein, haben dann aber Probleme, gut in den Urlaub hineinzukommen und abzuschalten. Wir nennen das ›Erholungsparadox‹. Die Erholung fällt gerade dann am schwersten, wenn wir sie am nötigsten haben.

Sind Frauen davon eher betroffen?
Prinzipiell sehen wir keine Hinweise darauf, dass sich Frauen und Männer im Urlaub unterschiedlich gut erholen. Einzig im Bereich Mental Load sind Frauen tendenziell eher betroffen, übernehmen sie doch meist mehr Last und Verantwortung der unsichtbaren Planungs- und Koordinierungsaufgaben im Alltag. So sind sie auch bei Fragen rum um Urlaubsplanung und -vorbereitung oft stärker involviert.
Haben wir generell zu hohe Erwartungen an den Urlaub?
Ja, auf viele trifft das zu – vor allem, wenn man Urlaub als diesen einen großen Jahresurlaub versteht. Da sind die Erwartungen in der Regel zu groß, weil wir uns in drei Wochen unmöglich so gut erholen können, dass wir allen Stress aus den Monaten zuvor abbauen können. Mit zu hohen Erwartungen ist Frust vorprogrammiert, weil wir alles auf eine Karte setzen.
Wie können wir das verhindern, was können wir besser machen?
Helfen kann es, sich nicht ausschließlich auf den einen Jahresurlaub zu konzentrieren, sondern daneben mehrere Erholungsphasen gut aufs Jahr zu verteilen. Das verlängerte Wochenende, der Brückentag, die kleine Auszeit – die Erholungsforschung sagt, dass wir jede Phase, in der wir uns erholen können, nutzen sollten. Wir sehen in Studien, dass, um gut abschalten zu können, häufig schon wenige Tage ausreichen – auch, weil die Erwartungen und der Vorbereitungsaufwand vorher meist weniger groß sind.
Wie steht es um den Erholungseffekt?
Wir wissen: Kurze Urlaube können prinzipiell den gleichen Erholungseffekt haben wie lange. Bei einer kurzen Auszeit ist der Erholungseffekt jedoch weniger nachhaltig – dann brauche ich quasi öfter solche kleinen Auszeiten. Längere Urlaube bieten gerade bei hohem Stresslevel die Chance, langsam in den Zustand der Erholung zu kommen. Aber wir wissen auch: Etwa drei Wochen nach dem Urlaub sind wir wieder auf ähnlichem Stresslevel wie vorher.
Spielt die Urlaubsgestaltung für die Erholung eine Rolle?
Ja, sie spielt eine Rolle – insofern, als dass sie für den Einzelnen passend sein muss, um Erholung zu erreichen. Das kann für die eine ein Strandurlaub und für den anderen ein Aktivurlaub sein. Wir wissen, dass für Menschen besonders die Dinge erholsam sind, die konträr sind zu dem, was uns erschöpft – die konträr zur Arbeit sind. Ich muss z. B. für meinen Job wahnsinnig viel lesen – da entspannt mich im Urlaub Lesen tatsächlich nicht so sehr. Auch werden Erzieherinnen und Erzieher, die keine eigenen Kinder haben, im Urlaub im Kinder-Clubhotel vermutlich weniger gut ausspannen können.
Was hilft denn, um gut zu entspannen?
Es hilft, einen Schritt weg von der Arbeit zu machen und neue Dinge zu erleben. Wer z. B. einen körperlich stark beanspruchenden Job hat, sollte womöglich nicht auch noch im Urlaub wahnsinnig körperlich aktiv sein, sondern profitiert vielleicht eher vom Faulenzen. Prinzipiell gilt, dass jede und jeder für sich erkennen muss, was ihr und ihm guttut. Hier kann ich immer nur dazu ermuntern, es auszuprobieren: Gerade der Urlaub bietet die optimale Gelegenheit, sich ein bisschen aus der eigenen Komfortzone herauszuwagen und etwas Neues zu versuchen. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem schönen Hotel. Dort wird ein Yogakurs angeboten, Sie nehmen teil und stellen fest: Das liegt mir total, das werde ich auch nach dem Urlaub weitermachen, oder Sie kommen zu dem Schluss: Das ist gar nichts für mich. Dann ist auch das eine Erfahrung.
Kann man in der Ferne besser abschalten?
Nein, es muss auf gar keinen Fall eine Fernreise sein – abgesehen davon, dass sich viele Menschen diese nicht leisten können oder z. B. aus Umweltgründen nicht fliegen möchten. Man kann sich genauso gut zu Hause erholen, es braucht dann aber ein paar besondere ›Kniffe‹.
Welche sind das?
Ein wichtiger Rat: Simulieren Sie den Urlaub, den Sie woanders verbringen würden, so gut wie möglich zu Hause. Schließen Sie die Tür zu Ihrem Arbeitszimmer ab, verzichten Sie aufs tägliche Kochen, gehen Sie essen und lassen Sie die Wäsche im Wäschekorb. Setzen Sie lieber auf Natur und Bewegung und probieren Sie Neues aus. Gehen Sie ins Museum, machen Sie einen Schnupperkurs im Fitnessstudio. In der Umgebung gibt es meist so viele Möglichkeiten, die man noch nicht kennt.
Viele Menschen nutzen den Urlaub, um Liegengebliebenes zu erledigen, um zu renovieren, den Keller aufzuräumen, den Garten zu machen. Kann das erholsam sein?
Ja, denn Erholung bedeutet nicht, nichts zu tun, sondern von dem, was bei der Arbeit stresst und ermüdet, abzuschalten und wegzukommen. Keller aufräumen, Gartenarbeit, Renovieren bringt Sie weg von dem, was Sie sonst tun, und damit können Sie auch Erholung erfahren. Denn wenn die Herausforderung gelingt, entwickeln Sie positive Emotionen und auch das ist erholsam. Es ist eine ganz häufige Fehlannahme, dass Erholung bedeutet, man dürfe sich nicht anstrengen oder man dürfe nicht arbeiten.
Oft bekommen wir Tipps von anderen, wie Erholung angeblich gut funktioniert.
Ja, wir werden zugeschüttet mit Anregungen, was ein guter Urlaub ist, wann man sich erholt, was man machen muss: In der Hängematte liegen und einen Cocktail schlürfen – das mag für die eine funktionieren, für den anderen auf keinen Fall. Wenn wir solchen Ideen nacheifern, wird das Problem der hohen Erwartungen noch größer. Denn wenn Sie Ihre kostbare Urlaubszeit auch noch mit dem verbringen, von dem andere sagen, dass es total erholsam sei, selbst dabei aber gar nicht entspannen und dann auch noch ein schlechtes Gewissen haben, dann ist der Frust noch größer.
Wie gelingt es, nach dem Urlaub entspannt in den Alltag zu starten?
Gelassenheit hilft und eine vorausschauende Planung – die Abwesenheitsnotiz z. B. einfach einen Tag verlängern, um Mails erst mal vorsortieren zu können, nicht zu viele Termine auf den ersten Tag legen und sich bewusst machen, dass der Urlaub keine Rechtfertigung dafür sein darf, nun voller Energie gleich die ganze Woche durchzuarbeiten.
Ein Tipp zum Schluss?
Ich plane den nächsten Urlaub immer im Urlaub. Denn wenn es gerade entspannt und schön ist, hat man am besten Zeit und Muße, darüber nachzudenken, wo es als Nächstes hingehen soll. Was hat uns gerade besonders gut gefallen und was nicht? Wie kann der nächste Urlaub noch schöner werden? Das ist ein guter Moment, um zu planen und Vorfreude zu entwickeln.