Anfangs belächelt, teils bekämpft, am Lebensende geehrt: William Booth, der Gründer der Heilsarmee, kümmerte sich um Suppe, Seife und Seelenheil.
Manche nennen ihn den General Gottes. Tatsächlich baute er eine Armee auf, ab 1865 in London, bewaffnet nur mit der Bibel. Und sein Werk hat bis heute Bestand: Mehr als 1,8 Millionen Mitglieder führen das Erbe eines Mannes weiter, der arme Seelen dem Teufel entreißen wollte: William Booth, Methodistenprediger und Gründer der Heilsarmee.
Mit heiligem Ernst und straffer Hierarchie
Fest steht: Er hat kompromisslos seinen Weg verfolgt und seine Idee vorangetrieben bis zu seinem Tod. Er gründete eine Organisation, die manchen heute seltsam vorkommen mag. Ein wenig aus der Zeit gefallen. Die mit heiligem Ernst und straffer Hierarchie christliche Sozialarbeit betreibt. Die Heilsarmee, gegründet 1865 in London, 1886 in Deutschland, ist in 126 Ländern aktiv. Es gibt rund 1,25 Millionen Heilssoldaten, dazu mehr als 172000 Angehörige ohne Uniform und gut 412000 Jugendsoldaten. Die Offiziere müssen ein Theologiestudium an einer privaten Hochschule absolvieren. Häufig sind Familien über mehrere Generationen dabei – so war es schon bei Familie Booth.
In einem Punkt aber war die Heilsarmee von Beginn an sehr modern: Frauen sind hier absolut gleichberechtigt. Sie dürfen predigen und Chefpositionen übernehmen. Das geht auf Catherine Mumford zurück, die Frau von William Booth, die selbst aus einer Methodistenfamilie stammte. Sie setzte durch, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern schon in der Gründungsakte der Christlichen Mission festgeschrieben wurde, dem Vorläufer der Heilsarmee. Eine Oberstin oder eine Majorin ist bei der Heilsarmee somit keine Seltenheit.
1878: Wandlung von der Mission zur Armee
Die Christliche Mission, im Rechenschaftsbericht von 1878 als »Freiwilligen-Armee« bezeichnet, wurde im gleichen Jahr zur »Salvation Army«. Grund waren familieninterne Debatten. Bramwell Booth, der älteste Sohn von William Booth, wollte nach Angaben der Heilsarmee nicht als Freiwilliger bezeichnet werden, denn er sei »ein regulärer Soldat Christi«. Aus der Volunteer Army wurde die Salvation Army, aus dem »Generalsuperintendenten« William Booth wurde der »General«.
William Booth, geboren im April 1829 in Nottingham, wollte anders vorgehen als die traditionelle Kirche. Anstatt sonntags auf die Gläubigen zu warten, suchte er sie aktiv auf. Und zwar die Ärmsten der Armen. Seine Überzeugung: »Die Kirche muss zu den Leuten gehen.« Sein Grundgedanke: Menschen wenden sich nicht Gott zu, wenn sie nicht wissen, woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen. Sein Motto wäre heute noch ein Volltreffer für jede PR-Agentur: »Soup, Soul and Salvation«, also Suppe, Seife, Seelenheil.
Menschen wenden sich nicht Gott zu, wenn sie nicht wissen, woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen.
Als Junge hatte er eigentlich ein glänzendes Leben vor sich. Sein Vater, ein gelernter Nagelschmied, war im boomenden Nottingham mit Immobilien zu Reichtum gekommen und schickte William als einzigen männlichen Nachkommen auf eine exklusive Schule. Doch als William 13 Jahre alt war, rauschten die Geschäfte von Samuel Booth wegen einer fälligen Bürgschaft in den Bankrott. Schon in einer Wirtschaftskrise von 1837 / 38 hatte der Vater viel Geld verloren. 1843, ein Jahr nach dem Bankrott, starb Samuel Booth – das bedeutete für William, seine Mutter und seine drei Schwestern den endgültigen Abstieg.
Ungeheure Armut in London
William kannte also Armut, aber was er später in London sah, sprengte sicher seine Vorstellungskraft. Als Reverend kam er in den 1860er Jahren in die Hauptstadt, die damals drei Millionen Einwohner hatte. England war die führende Weltmacht, doch die industrielle Revolution brachte vielen Menschen Not und Elend in ungeheurem Ausmaß. Die mittelalterliche feudale Treuestruktur mit ihrer gegenseitigen Unterstützung war dahin, zahlreich kamen mittellose Menschen in die Städte. Die industrielle Produktion trieb Handwerker in einen chancenlosen Wettbewerb, Missernten und Kriege verschärften die Situation. Tausende hungerten, lebten im Dreck, zwischen Alkohol, Prostitution, Krankheiten und Tod. »Ich ging und sah die verkommenen Söhne und Töchter der Ausschweifung, des Lasters und Verbrechens, die mich umgaben«, schrieb Booth. »Trunksucht und Prostitution, die Armut, die Wohnungsmisere, die Gotteslästerung und der Unglaube dieser Leute, all das übte einen Anreiz auf mich aus.« Zu seiner Frau Catherine soll er gesagt haben:
Liebling, ich habe meine Bestimmung gefunden.
Also ging er mitten in das Elend, predigte. Die Uniform der Heilsarmisten – blau mit einem roten H – bot damals, im 19. Jahrhundert, Schutz. Denn die neuen Helfer wurden auch angefeindet und angegriffen. Auch die britische Kirche reagierte zunächst mit Ablehnung, denn sie sah sich als Kirche des Mittelstands und der Oberschicht. Doch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand eine Erneuerungsbewegung von Priestern und Laien, die sich karitativ engagierten, zunächst außerhalb der amtlichen Kirche. William Booth war bereits 13 Jahre als wandernder Methodistenprediger durch England gezogen, hochgewachsen, mit Hut, Gehrock, schwarzem Bart und einem schmalen Adlergesicht, so beschreibt ihn ein Biograf. 1865 kam er in die Armenviertel von Ost-London, da war er 36 Jahre alt. Eine Missionsstation hatte ihn gebeten, dort eine Woche zu predigen. Er blieb.
Konflikte zwischen Bibel und Moderne
Die Familie Booth sammelte für ihre Idee der Heilsarmee so erfolgreich Spenden, dass sie die Arbeit auf andere Länder ausweiten konnte. Heute unterhält die Heilsarmee rund 4000 soziale Einrichtungen wie Obdachlosenheime, Suppenküchen, Sucht-Therapie-Programme, Krankenhäuser, Kindergärten, Heime und Schulen, Alten- und Pflegeheime. Der Kodex ist geblieben: Die Bibel ist die Grundlage für alle Lebensfragen – das führt auch zu Konflikten, etwa bei der Frage, wie gleichgeschlechtliche Paare oder Transgender-Personen behandelt werden. Die Mitglieder der Freikirche verpflichten sich jedenfalls, Alkohol, Tabak oder andere Drogen zu meiden.
Auch das Militärische ist nicht jedermanns Sache. Ob die Uniform noch zeitgemäß ist, wird teilweise intern diskutiert. Sie ist ein Erkennungsmerkmal nach außen und nivelliert gesellschaftliche Unterschiede nach innen. Aber sie zeigt auch klare Kante: Laut ihrem Selbstverständnis kämpfen die Heilsarmisten einen guten, einen wirklichen Kampf, gegen Not und für das Reich Gottes. Deshalb trug die Mitgliederzeitschrift den martialischen Titel Der Kriegsruf – und zwar von 1890 bis 2004. Tatsächlich sind die Mitgliederzahlen in Europa seit Jahrzehnten rückläufig. Viele Gemeinden mussten deshalb bereits geschlossen werden. In Deutschland hat die Freikirche den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts, erhält aber keine Kirchensteuer.
Dem Elend den Krieg erklärt
William Booth war ein energischer religiöser Sozialpionier in Uniform, der dem Elend sozusagen den Krieg erklärt hatte. Bis ins hohe Alter blieb er an der Spitze seiner Armee, 34 Jahre war er ihr Leiter und bestimmte seinen Sohn Bramwell zu seinem Nachfolger. Seither wird jeder General von einem eigens dafür zusammentretenden Gremium gewählt. Aktueller General und damit 22.internationaler Leiter der Heilsarmee ist der Neuseeländer Lyndon Buckingham. Drei Frauen schafften es bisher zur Generalin, die erste war von 1934 bis 1939 Evangeline Booth, Tochter von William Booth und das siebte seiner acht Kinder.
Auch Krisen gab es in der Heilsarmee. Im Nationalsozialismus wurde sie verfolgt, in der DDR verboten. Booths Sohn Ballington und seine Frau Maud wurden wegen eines umstrittenen Kurses in den USA 1896 aus dem amerikanischen ›Kommando‹ gedrängt und gründeten mit Volunteers of America eine eigene Organisation. Doch Patriarch William Booth erfuhr am Ende seines Lebens große Würdigung: Als Ehrenbürger von London und Ehrendoktor der Universität Oxford starb er am 20. August 1912 in London. Beim Leichenzug säumten tausende Menschen die Straßen. 1965 wurde in der Westminster Abbey eine Marmorbüste von ihm aufgestellt.