Zu Besuch im Teddybärkrankenhaus

Von Nele Siemer Lesezeit 4 Minuten
Kinder schauen zu, wie ein großer Teddybär von einer Medizinstudentin im OP versorgt wird.

Mit dem Ziel, Kindern die Angst vor einem Krankenhausaufenthalt zu nehmen, organisieren Medizinstudierende an zahlreichen Kliniken in Deutschland regelmäßig sogenannte Teddybärkrankenhäuser, so auch in Hannover.

Der Patient liegt auf dem OP-Tisch. Um ihn herum herrscht Konzentration. Instrumente werden bereitgelegt, die Sauerstoffzufuhr wird überprüft. »Alles vorbereitet. Wir sind startklar.« Blaue OP-Hauben, Desinfektionsgeruch in der Luft, gespannte Erwartung. Ein prüfender Blick geht durchs Team. Gleich geht es los. Doch heute geht es nicht um Leben und Tod, zumindest nicht im medizinischen Sinne, denn der Patient ist aus Stoff. Es ist ein riesiger Teddy. Und doch ist die Spannung groß im Teddybärkrankenhaus an der Medizinischen Hochschule Hannover. In der Hauptrolle: Die Kuscheltiere der Kita-Gruppen und ihre Besitzerinnen und Besitzer, die an diesem Tag zu Besuch sind.

Das Teddybärkrankenhaus Hannover, kurz TBK, wird getragen von einer studentischen Projektgruppe unter dem Dach des Allgemeinen Studierendenausschusses (AstA) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Es ist Teil eines bundesweiten Netzwerks, das zur Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) gehört und an zahlreichen Kliniken Teddybärkrankenhäuser organisiert.

Spielerisch die Angst nehmen

Im Fokus des TBK steht ein klares Ziel: Kindern im Vorschulalter spielerisch, mithilfe ihrer kuscheligen Begleiter, die Angst vor Arzt- oder Krankenhausbesuchen zu nehmen. Für diese haben sich die Kinder oftmals schon im Vorfeld überlegt, weshalb sie an diesem Tag zu den ›Teddydocs‹ müssen: Sie sind ›krank‹, haben Brüche, Halsschmerzen oder müssen sogar operiert werden – und die Kinder begleiten sie durch diesen Prozess.

Das ist niedlich, hat aber auch einen ernsten Hintergrund: In Deutschland sind etwa zwei Millionen Menschen von der sogenannten Latrophobie betroffen, die sich durch starke Angst vor Ärzten oder medizinischen Behandlungen äußert. Diese Angst kann dazu führen, dass notwendige Behandlungen vermieden oder hinausgezögert werden. Das TBK setzt genau hier an. Durch spielerische Interaktionen lernen Kinder frühzeitig, dass medizinische Untersuchungen nichts Beängstigendes haben müssen. Indem sie ihre Puppen oder Kuscheltiere behandeln lassen und dabei selbst aktiv werden, entwickeln sie ein positives Bild der medizinischen Umgebungen und Behandlungen. Diese frühen Erfahrungen können dazu beitragen, dass Kinder auch in ihrem späteren Leben weniger Angst vor Arztbesuchen haben und medizinische Hilfe rechtzeitig in Anspruch nehmen.

Große Nachfrage

In Hannover engagieren sich rund hundert Medizinstudierende für das Teddybärkrankenhaus, einige von ihnen wirken auch an diesem Tag mit. Sie gestalten Stationen wie eine Arztpraxis, einen OP-Saal, das Notruf-Training oder den Besuch im Rettungswagen. Pro TBK-Tag werden verschiedene Kita-Gruppen empfangen, heute sind es fünf, mit insgesamt 85 Kindern. Die Nachfrage der Kindergärten ist riesig, Wartelisten sind die Regel. Finanziert wird das TBK durch einen kleinen Teil des Semesterbeitrags, hauptsächlich ist es jedoch auf Sachspenden, wie ausrangiertes Verbandszeug, Pflaster oder Behandlungsinstrumente angewiesen.

Kinder werden häufig unterschätzt. Sie verstehen viel mehr, als man ihnen zutraut.

Thea Niendorf, Hauptorganisatorin des TBK Hannover beobachtet, wie ein Mädchen unter Anleitung behutsam den Arm ihres Hasen verbindet. Ein Junge untersucht seinen Hund gerade mit dem Stethoskop. Niendorf war als Kind selbst mit ihrem Stoff-Esel im Teddybärkrankenhaus – heute ist sie Medizinstudentin und engagiert sich ehrenamtlich für das Projekt.

Für sie ist klar: »Kinder werden häufig unterschätzt. Sie verstehen viel mehr, als man ihnen zutraut.« Durch das TBK lernen sie medizinische Abläufe in einer sicheren und unterstützenden Umgebung kennen; das fördert nicht nur ihr Verständnis, sondern auch ihr Vertrauen in medizinisches Personal. Auch Marcel Szczerek, der sich im Team des TBK um die Finanzen kümmert und heute den OP-Saal betreut, weiß um die Bedeutung des Projekts. Er erinnert sich an seine eigenen Eindrücke beim Arztbesuch als Kind. »Ich hatte furchtbare Angst – mit richtiger Aufklärung wäre das sicher nicht so schlimm gewesen.« Heute möchte er genau das verändern: Das Teddybärkrankenhaus ist keine reine Lehrstunde, sondern ein Erlebnis. Für die Kinder wird der Tag zu einem spannenden Abenteuer, während die Studierenden wertvolle Lernerfahrungen sammeln. »Der Umgang mit Kindern kann nicht in den Vorlesungen vermittelt werden«, sagt Thea Niendorf. Im TBK geht es daher nicht nur um das medizinische Handwerk, sondern auch um Kommunikation, Empathie und Flexibilität. »Man muss improvisieren, erklären und einfühlsam sein und das auf Augenhöhe.«

Vom Wartezimmer bis zur OP

Der Tag beginnt für die Kinder mit der Anmeldung ihrer Kuscheltiere: Wie heißen Patient oder Patientin? Hat der Hase Husten oder die Puppe ein gebrochenes Bein? Die Teddydocs führen die Kleinen durch die verschiedenen Stationen. In der Arztpraxis startet die erste Untersuchung – mit liebevoll gestalteten Instrumenten wie Röntgengerät oder EKG. Vieles haben die Studierenden selbst gebastelt, aber alles im realen Umfeld des ›Skills-Lab‹ der MHH.

Hier, wo sonst unter Anleitung Blutentnahmen, der Umgang mit EKG, Sonographie oder die Abläufe im OP-Saal geübt werden, ist das ›Lab‹ heute fest in der Hand der Teddydocs und ihres Assistenzpersonals. Die Kinder unterstützen mit dem Stethoskop, messen Fieber oder kleben Pflaster auf. Danach wartet schon der OP. Gekleidet wie bei einer echten Operation stehen die Kleinen am OP-Tisch, während der Teddy bereitliegt. Jeder Handgriff wird erklärt, jeder Schritt gemeinsam gemacht.

Auch die Notrufstation ist beliebt: Hier lernen die Kids, wie man einen Unfallort erkennt, den Notruf wählt und was danach passiert. Weiteres Highlight ist heute der Rettungswagen, der vor dem Skills-Lab vorgefahren ist, bereitgestellt vom Arbeiter-Samariter- Bund. Die Kinder dürfen alles genau anschauen und lernen dabei, dass die Geräte im Inneren nicht wehtun und dass Blaulicht und Sirene kein Grund zur Angst sind, sondern helfen. »Ein Notfall ist für Kinder oft eine überfordernde Situation – umso besser, wenn die Kinder vorher schon wissen, wie so ein Rettungswagen aussieht«, sagt Rettungssanitäterin Mouna Tabet vom ASB Hannover. Für Rettungsfachkräfte sei es eine große Hilfe, wenn Kinder sich in Stresssituationen besser orientieren können. Viele Rettungsteams haben auch im echten Einsatz oft Stofftiere dabei, um kleine Patientinnen und Patienten zu beruhigen.

Raum für Fantasie und Lernen

Das TBK ist mehr als ein pädagogisches Projekt. Es ist ein Raum für Fantasie, Lernen und respektvolle Begegnung. Es gibt kaum Regeln, außer: Die Kinder selbst werden nicht untersucht und es werden keine Stofftiere genäht. »Ich finde es schön zu sehen, dass die Kinder nach und nach immer mehr auftauen und sich mehr trauen«, sagt Jolanda Lekon, eine Medizinstudentin des heutigen Teams. Manche Kinder seien anfangs zurückhaltend, andere stürzen sich mit Begeisterung in jede Station.

Das Wichtigste: Alle dürfen mitmachen und alles wird kindgerecht erklärt.

Dass das Teddybärkrankenhaus Wirkung zeigt, beweist eine Begegnung, an die sich Marcel Szczerek gerne erinnert: Ein Mädchen mit chronischer Magen-Darm- Erkrankung erzählte ihm beim Wiedersehen, dass sie nach der Erfahrung im TBK viel weniger Angst vor Arztbesuchen hätte und heute viel selbstbewusster in ihre Behandlungen gehe.

Es ist Nachmittag geworden. Viele Stunden voller Lachen, Erklären und Staunen liegen hinter dem Team des Teddybärkrankenhauses. Im Raum liegen leere Verbandsrollen und Pflasterreste. Alle Kuscheltiere sind versorgt und die Kinder verlassen das Gebäude mit kleinen Untersuchungsheften und großem Stolz. Zwei Mädchen winken, während sie ihre kleinen Freunde fest mit Arm halten und die Teddydocs noch im Skills-Lab aufräumen müssen.

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