Gesundheit geht durch den Magen

Von Dr. Silke Heller-Jung Lesezeit 4 Minuten
Symbolbild: links eine Schale mit Beeren (pinker Hintergrund), rechts ein Brot mit Schoko-Aufstrich (blauer Hintergrund)

Essen und Trinken gehören zu den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen. Und nicht nur das: Was wir essen, beeinflusst, ob wir gesund bleiben oder krank werden.

Angesichts des vielfältigen Nahrungsangebots, das hierzulande rund ums Jahr verfügbar ist, sollte eine gesunde und ausgewogene Ernährung eigentlich kein Problem sein. Doch nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin sind zwischen 20 und 60% der Menschen, die stationär ins Krankenhaus aufgenommen werden, fehl- oder mangelernährt. Gleichzeitig ist mehr als die Hälfte (53,5%) der Bevölkerung in Deutschland übergewichtig. Fast jeder fünfte Erwachsene (19%) ist adipös, also krankhaft fettleibig, so das Ergebnis der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« (GEDA, Erhebungswelle 2019 / 2020). Weltweit hat sich der Anteil der Menschen mit Adipositas seit 1975 etwa verdreifacht. In Deutschland stieg die Zahl der stark Übergewichtigen zwischen 2012 und 2022 um 30%, ermittelte die Kaufmännische Krankenkasse (KKH). Auch Kinder und Jugendliche bringen häufig schon zu viel auf die Waage. Die KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ergab, dass zwischen 2014 und 2017 bereits 15,4% der Heranwachsenden zwischen 3 und 17 Jahren übergewichtig und 5,9% adipös waren. Während der Corona-Pandemie, zwischen 2019 und 2021, stieg die Zahl der adipösen 6- bis 18-jährigen KKH-Versicherten um rund 11% an.

Wenn das Essen krank macht

Das bleibt nicht ohne Folgen. Ernährungsbedingte Krankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch. Starkes Übergewicht begünstigt die Entwicklung des nicht angeborenen, sondern erworbenen Typ-2-Diabetes, an dem dem ›Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2023‹ zufolge allein in Deutschland jährlich mehr als eine halbe Million Erwachsene neu erkranken. Derzeit leben hierzulande rund 8,7 Millionen Menschen mit Diabetes, die meisten mit einem diagnostizierten Typ-2-Diabetes. 2040 könnten es bereits 12 Millionen sein. Übergewicht und eine ungesunde Ernährung erhöhen auch das Risiko für manche Krebsarten, Herz-Kreislauf- sowie chronische Atemwegserkrankungen, beeinträchtigen die Lebensqualität und verringern die Lebenserwartung. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen. Neben dem oft vermeidbaren individuellen Leid verursachen ernährungsbedingte Erkrankungen auch eine erhebliche Belastung für die Gesellschaft. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen beziffert in einem im November 2023 vorgestellten Report die weltweiten Kosten einer ungesunden Ernährung und einer nicht umweltgerechten Landwirtschaft auf rund 10 Billionen Dollar pro Jahr. Mehr als 70% davon seien die Folgen einer ungesunden Ernährung mit zu viel Fett, zu viel Zucker und zu vielen hochverarbeiteten Lebensmitteln. Die ›Global Burden of Disease‹ (GBD)-Studie, eine systematische Metaanalyse mit Daten aus 195 Ländern, nennt als weitere Ernährungsrisiken einen hohen Natriumgehalt, einen niedrigen Vollkornanteil und einen geringen Früchtekonsum. Ein großes Gesundheitsrisiko stellen auch Essstörungen dar. Von 1000 Mädchen und Frauen entwickeln im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 28 eine Binge-Eating-Störung, gekennzeichnet durch wiederkehrende Essattacken, 19 eine Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und 14 eine Magersucht, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Jungen sind seltener betroffen. Die Corona-Pandemie hat die Situation verschärft: Laut dem DAK-Kinder- und Jugendlichen-Report 2022 mussten 2021 aufgrund von Essstörungen 17% mehr Jugendliche und 21% mehr Schulkinder als im Vorjahr stationär behandelt werden. Auch immer mehr Erwachsene sind betroffen: So verzeichnete die KKH zwischen 2010 und 2020 einen Anstieg um durchschnittlich rund 11%, in der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren sogar um mehr als 70%. Die im März 2023 veröffentlichte Meta-Analyse ›The social media diet‹ kommt zu dem Schluss, dass unter anderem die Vermittlung unrealistischer Schönheitsideale die Sozialen Medien zu einem Risikofaktor für Essstörungen macht.

Am liebsten lecker und gesund

Für den jährlichen BMEL-Ernährungsreport wurden im Mai 2023 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) rund 1000 Personen ab 14 Jahren zu ihren Ess- und Einkaufsgewohnheiten befragt. Besonders wichtig ist den meisten, dass das Essen gut schmeckt (99%) und gesund ist (91%). Knapp jeder Zweite (45%) kocht fast jeden Tag selbst mit frischen Zutaten; 71% essen täglich Gemüse und Obst, 58% Milchprodukte wie Joghurt oder Käse. Fleisch oder Wurst kommt nur noch bei jedem Fünften (20%) täglich auf den Tisch, vegane oder vegetarische Fleischalternativen bereits bei jedem Zehnten – das sind etwa doppelt so viele wie 2020. Vegetarisch ernähren sich etwa 8%, vegan 2%. Nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sank der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch im Jahr 2021 auf den niedrigsten Wert seit 1989. Das Umweltbundesamt untersuchte in seiner Studie ›Fleisch der Zukunft‹ pflanzliche Fleischalternativen, essbare Insekten und In-vitro-Fleisch. Unter Umweltgesichtspunkten schnitten die pflanzenbasierten Produkte am besten ab. Auch für eine gesunde Ernährung sind sie einer aktuellen Studie zufolge geeignet, obwohl es sich um sogenannte hochverarbeitete Lebensmittel (ultro-processed food, kurz: UPF) handelt. Viele UPF, vor allem fleischbasierte sowie Softdrinks, weisen ein schlechtes Nährwertprofil auf und stehen in dem Ruf, Multimorbidität zu begünstigen. Am besten für Mensch und Umwelt wäre die Planetary Health Diet, ein von Wissenschaftlern erstellter Speiseplan mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten.

Die Qualität im Blick

Immer mehr Verbraucher achten verstärkt auf den Zucker-, Fett- und Salzgehalt von Lebensmitteln, zeigt der BMEL-Ernährungsreport. Viele machen sich grundsätzlich Sorgen um die Qualität ihrer Nahrung. Bei einer Befragung für den ›Verbrauchermonitor August 2023‹ des Bundesinstituts für Risikobewertung schätzte nur jeder Zweite (50%) die in Deutschland verkauften Lebensmittel als »sehr sicher« ein, 16% als »(gar) nicht sicher«. Große Sorgen machten den Befragten vor allem potenziell schädliche Stoffe in Lebensmitteln, von Mikroplastik über Rückstände von Pflanzenschutzmitteln bis zu gentechnisch veränderten Produkten, künstlichen Süßungsmitteln oder einer möglichen Keimbelastung. Ganz andere Sorgen haben diejenigen, die mit wenig Geld auskommen müssen. Die steigenden Lebensmittelpreise haben insbesondere in den vergangenen Monaten Schlagzeilen gemacht. Dabei hat der Preisanstieg bereits im Sommer 2021 begonnen, betont die Verbraucherzentrale. Seit damals seien die Lebensmittelpreise bis Oktober 2023 um knapp 28% gestiegen. Laut dem Armutsbericht 2022 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes waren 2021 gut 14 Millionen Menschen, etwa 16,9% der Bevölkerung, arm. Bei einem Bürgergeld-Satz von 5,75 Euro für Lebensmittel pro Tag könnten sich immer mehr Menschen nicht mehr ausreichend ernähren, mahnt die Verbraucherzentrale. Doch während die einen nicht genug zu essen haben, landen anderenorts Lebensmittel auf dem Müll: Im Jahr 2020 fielen in Deutschland insgesamt rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an. Ein Großteil davon (59%) geht auf das Konto privater Haushalte: Pro Kopf werden hierzulande ca. 78 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weggeworfen. Mit einer bundesweiten Ernährungsstrategie will die Bundesregierung die gesunde Ernährung jetzt zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe machen und setzt dabei auf weniger Lebensmittelverschwendung, gesündere Rezepturen für Fertiggerichte und einen Ausbau des ökologischen Landbaus. Die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Kliniken und Unternehmen soll zum Vorbild für eine gesunde, nachhaltige Ernährung werden. Laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir soll außerdem eine verstärkte Ernährungsbildung dazu beitragen, »dass es für alle Menschen in Deutschland möglich ist, sich gut und gesund zu ernähren«.

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